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haGalilon

Fortsetzung der Rede der Juden an die Christen:
Wir wollen ihn zurück!

Denkt ihr über das Vaterland wie Christus — denn der Prophet, der nichts galt in seinem Vaterlande, was galt ihm denn das Vaterland? Und dieser Prophet Christus hielt, gleich andern Propheten und Psalmisten, den Reichtum für ein Hindernis der Seligkeit — denkt ihr auch so?

Denkt ihr über Besitz, Arbeit, Familie, wie Christus über dieses alles gedacht, es als Gleichgültiges und Aufzugebendes geachtet und alle Herrlichkeit der Welt radikal verschmäht hat? Glaubt ihr, dass seine Verkündigung vom nahen Weltende und dem neuen Königreiche bereits eingetroffen sei? - eine Verheißung, die nach Jesus unzweifelhaften Worten noch von seinen Zeitgenossen erlebt werden sollte ("Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass dieses alles geschehe")? Glaubt ihr, dass Jesus in den Wolken wiedergekehrt sei? Sprecht ihr über Dämonen und Besessene, wie er darüber gesprochen hat? Und --- ja, es könnte noch lange so weiter gehen, mit vielen weiteren Fragen; ihr aber müsstet auf alle mit "Nein" antworten und sagen, das sei Irrgläubigkeit und Unsinn, wie man von Christen nicht verlangen könne.

Und nun wiederholen wir die Hauptfrage: Was macht euch zu Christen? und welch ein Ergebnis, dass ihr die eigne Lehre da, wo sie nach eurem eignen Zeugnis in ihrer urbildlichen Gestalt als Anfang und Vollendung erscheint, dass eure Gemeinde diese Lehre des reinen Jesuismus, welche Judaismus war, dieselbe Lehre, um derentwillen sie sich eine Gemeinde nennt, als unsinnig und als irrgläubig verwerfen muss? Hört einmal Luther reden: "Sollte die christliche Kirche in einem Stücke mögen Christi Wort und Ordnung ändern oder brechen, so möchte sie auch alle andern seine Worte und Ordnung brechen und ändern und zuletzt dahin kommen, dass man auch sie selbst nicht müsse hören, weil solches Gott geordnet und geboten hat: und also möchten durch Menschen alle GeboteGottes, dazu die christliche Kirche, aufgehoben werden." —

Wir kamen nur mit dem Äußerlichen, und ihr wäret schwerlich besser daran, wenn wir danach noch mit dem Innerlichen kommen und euch fragen wollten: Seid ihr wirklich von Sünden erlöst — darüber rechten wir jetzt nicht mit euch, dass ihr es sein wollt durch Christi stellvertretendes Leiden! — seid ihr von Sünden erlöst, die ihr euch die von Sünden Erlösten nennt? *

*) Es ist davon nichts zu gewahren; die Christen selber gewahren nichts davon und wissen sich mit dem angeblichen Faktum der Sündenerlösung schlecht abzufinden. Die einzigen konsequenten sind die Hattemisten (die Anhänger des von spinozistischen Gedanken beeinflussten reformierten Predigers Pontiaan Hattem), die aber freilich denn auch genötigt sind, die Sünde hartweg zu leugnen. Da alles von Gott verursacht sei und nichts gegen seinen Willen geschehen könne, so gebe es auch keinen Unterschied zwischen Gut und Böse in einer Gott gegenüber selbständigen Persönlichkeit des Menschen; die Erlösung durch Christus bestehe in der Rechtfertigung des Menschen durch den Glauben an den ausschließlich waltenden Gott und in der Zerstörung der Einbildung, als könne der Mensch sündigen. Diese Wahnvorstellung sei die einzige überhaupt mögliche Sünde, womit Christus aufgeräumt und uns damit von Gott reine Vorstellungen gegeben habe. Sündigen sei unmöglich, und niemals könne Gott zürnen über Handlungen des Menschen, die allesamt sittlich indifferent seien. Man solle auch nicht beten und Gott dienen. Damit "trennst du dich von deinem Schöpfer, mit dem du durch den Sohn vereint bist in dem Geiste, und anstatt dich zu wissen in ihm und ihn in dir, entfernst du dich von ihm, weil du eine Differenz annimmst zwischen seinem und deinem Willen."

Habt ihr den Geist Christi und folgt ihr ihm wirklich nach? Es gibt ein Sprichwort: "Wer Christo nachfolgt, kommt an den Galgen" ... ... das könnte wahr werden unter euch und ist wahr geworden. Ihr sagt zu uns, wir leben im Lande der Christen — wir würden herzlich verlangen, wie die Bourignon als Kind soll verlangt haben: in das Land der Christen gebracht zu werden! Adveniat regnum tuum, dein Reich komme! Ihr aber seid keine Christen. So sagte auch jüngsthin der Inder Keshub Chunder Sen, der "wohl die Lehre Christi, aber nicht die Lehre von Christo glaubt": "Ich fand, dass Christus eine Sprache redete und die Christenheit eine andre . . . Erlaubt mir, Freunde, zu sagen, ihr seid noch keine christliche Nation."

Ihr seid keine Christen, oder wenn ihr Christen seid, so war Christus nicht der Christ. Christus dachte anders als nach eurem Glauben, anders wie das Christentum; nicht wie das heutige denkt, in welcher seiner vielen Formen es auch sei, noch wie irgend ein früheres Christentum dachte. Ihr hängt euren Christentümern an, aber nicht Christo; alle eure Christentümer sind ungeschichtlich, sind unjüdisch und Christo unähnlich. Darüber war sich schon der große Friedrich klar und schreibt an d'Alembert: "Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, dass unsre jetzigen Religionen der Religion Christi so wenig gleichen wie der irokesischen. Jesus war ein Jude, und wir verbrennen die Juden. Jesus predigte eine gute Sittenlehre, und wir üben sie nicht aus. Jesus hat keine Lehrsätze aufgestellt, und wir haben reichlich dafür gesorgt".*

*) Und das behauptet schließlich keines der Christentümer, mit seiner Theologie und Dogmatik christlicher zu sein als Christus; soweit gehen auch diejenigen nicht, die dem Christentum den weitesten Mantel umhängen und sein Wesen als den unendlichen Fortschritt hinstellen. "Die christliche Religion zeichnet sich vor allen andern dadurch aus, dass in ihr das Prinzip einer ins unendliche fortwachsenden Vervollkommnung gegeben ist, sagt Schleiermacher, und da wir nun diesen ihren Vorzug als Christen nur von dem Religionsstifter herleiten können, so muss dem letzteren eine wirklich unbegrenzte religiöse Vollkommenheit zugeschrieben, er muss als dieses geschichtliche lndividuum zugleich in religiöser Beziehung urbildlich gesetzt werden." Martensen: "Das Wesen des Christentums ist nicht verschieden von Christo selber; der Religionsstifter ist selber der Inhalt der Religion." Und wenn es erlaubt ist, nach Schleiermacher und nach Martensen, und obwohl die Rede von Christus ist, einen derartigen Geschäftsantisemiten zu zitieren -- Herrmann Ahlwardt schreibt: "Weil sich etwas Höheres nicht absehen lässt, muss der Geist Christi das Vorherrschende zu allen Zeiten bleiben."

Christus war ein Jude, seine Religion war und blieb die jüdische; und wenn nun wir Juden protestieren — gründlichere Protestanten, als ihr unter euch habt -- gegen das ganze Christentum, gegen das Augustinisch-Thomistische und gegen das Augustinisch-Lutherische Christentum und gegen alles und jedes Christentum alter und neuer Art? Wie, wenn wir protestieren im Namen Christi, im Namen des echten Christentums Christi, weil dieses ist: echtes Judentum?

Mächtiger heute unser Protest als je vordem. Heute protestiert nicht mehr das Judentum ohne Christus, sondern das Judentum mit Christus; heute protestiert Christentum gegen Christentum: unser wahres Christentum, d. i. das echte Judentum von uns echten Juden gegen euer falsches Christentum. Uns kommt zu, dass wir sagen, wir allein sind Christen, sobald wir wollen — und sind es wohl auch durch das, was wir nicht wollten und nicht wollen: durch unsre Entsagungen, durch unsre Passionsgeschichte und via dolorosa! — wir sind Christen, sobald wir dieser Lehre Jesu und der Apostel ihre echt jüdische Auslegung geben und ihre Stellung einräumen.**

**) Wir behalten unser deutsches Wort "Christen" bei, trotzdem es eine Ungeheuerlichkeit ist; denn es bedeutet nach dem Wortsinne, dass diejenigen, die so sich nennen, allesamt sind wie der Christ, dessen Wesen und Art auf sie übergegangen sei. Die Frommen unter ihnen, die an die Gottheit Christi glauben, könnten also sich ebenso gut Götter nennen. In anderen Sprachen nicht so: Xristianoi, Christiani, Christians, Chrétiens, Christiani — alles freilich nach dem Würdenamen. Dass die Jesuiten sich nach dem Eigennamen nannten, hat man ihnen (von katholischer Seite) als Frechheit ausgelegt; Hospinian in seiner historia jesuitica bezeichnet sie gar als Schismatiker.

Damit protestiert Christus gegen euch, durch uns — Christus, der auch gesagt hat (Joh. 4, 22): "Das Heil kommt von den Juden"; er hat nicht gesagt "von den Christen", er hätte nimmer verstanden, was damit gemeint sein könnte. Das Mark des Wortes kennen wir, denn wir sind aus diesem Marke; es ist die Lehre jüdischer Männer, deren Mutter das Judentum ist, das ihr ewig am nächsten verwandt bleibt. Darauf trotzen wir gegen die ganze Christenheit und trotzen so mit Luther, der schreibt: "Und wenn wir gleich hoch uns rühmen, so sind wir dennoch Heiden, und die Juden vom Geblüte Christi; wir sind Schwäger und Fremdlinge, sie sind Blutsfreunde, Vettern und Brüder unsres Herrn."

Unser ist der Jude Christus; wir wollen ihn zurück für uns, nach unsrem Sinne. Ihr habt uns mit roher Gewalt um diesen Mann gebracht und von ihm abgetrieben, dass sein Wort in unsrer geistigen Entwicklung nicht Frucht bringen konnte. Oder glaubt ihr, das wäre ohnehin nicht gekommen? Glaubt ihr darum so, weil dieser Mann von seiner jüdischen Zeitumgebung war verkannt worden? Aber alle Zeiten erleben an euch das gleiche; ihr holtet immer andre, und der große Mann musste Mauerblümchen sitzen: wo ihr ihn aber holtet, da war's zu schlimmem Tanze. Wir könnten euch eine lange Liste aufzählen; wenn kein Christus darunter, liegt es daran, dass ihr keinen habt, und träte Christus unter euch: Domine, quo vadis? -- Venio iterum crucifigi!

Es ist Gesetz so, dass der große Mann verkannt wird, der Größte am längsten (denn desto mehr bedarf es Kleinerer, die auch noch groß sind, und immer Kleinerer, den Abstand zu vermitteln bis hinunter zu den ganz Kleinen, die nur groß sind an Menge — es bedarf des immer breiter werdenden geistigen Gefälles). Von allen großen Männern ist während seines Lebens wohl keiner in dem Maße wenig geachtet, wenig beachtet und ohne jegliche Glorie gewesen wie Christus — so weitaus war er von ihnen allen der größte. "Nicht Gestalt hatte er und nicht Schönheit, dass wir auf ihn schauten, und kein Ansehen, dass wir sein begehrten; verachtet war er und verlassen von den Menschen." Es ist nicht weit von dem, was Celsus sagt: Christus habe bei Lebenszeit keinen Menschen, ja nicht einmal das Herz seiner Jünger gewinnen können und eben deswegen ein so trauriges Ende gefunden (Orig. c.C. II).

Seine Verwandten sprachen über ihn als über einen Verrückten; unmittelbare Wirkung ging aus nur auf einige geringe Männer und Frauen, und die Kinder hatten ihn lieb; nach seinem Tode eine ganze Weile schien alles zerstört und zerstoben und sein Angedenken nahezu ausgelöscht.*

*) Nicht einmal erwähnt wird Christus bei Philon, seinem Zeitgenossen, der etwa 54 n. Chr. starb; die Stelle in den Altertümern (18, 3, 3) des Josephus, 37 bis etwa 100 n. C., ist ganz unbezweifelbar eine christliche Fälschung; und wem ist nicht schon aufgefallen, wie selbst die Evangelien, die nur vom dreißigsten Jahre Christi an berichten, über sein früheres Leben (Lukas Erzählung von der Reise des zwölfjährigen Kindes nach Jerusalem ausgenommen) gänzlich schweigen! und auch noch mit dem, was sie berichten, im Widerspruch stehen gegeneinander und gegen sich selbst. Unter den Geschehnissen zu Christi Zeit war, was mit Christus geschah, für die Zeit wenig außerordentlich und ohne Eindruck auf die Allgemeinheit geblieben; die Überlieferung fließt so spärlich wie unsicher (Schedii loca talmudica, in quibus Jesu et discipulorum ejus fit mentio). Sanhedrin 67a wird von seiner Steinigung und Kreuzigung in Lydda gesprochen.

Die zeitgenössischen Rabbinen hätten den für rasend erklärt, der gesagt haben würde, Jeschuah ben Joseph übertreffe sie auf unüberdenkbare Weise an Adel, Kraft und Wirkung, derart, dass sie selber, weil sie ihm sich nicht beugten, in einen traurigen Ruf gelangen müssten, indes die geringsten seiner Anhänger, unwissende Männer und Weiber, durch die Jahrtausende glänzen würden. Ihm sollten sie sich beugen, der lieber mit den Zöllnern und Sündern aß als mit ihnen, den Pharisäern und Schriftgelehrten! Dieser Narr und Aufrührer, für den man einen Verbrecher freiließ, um ihn zwischen zwei Verbrechern zu hängen! Sie hatten es immer unter ihrer Würde gehalten, ihn gleichfalls auch nur einen Rabbinen gelten zu lassen. So dumpfen Geistes waren die Klügsten und Angesehensten der Bildung und Wissenschaft und ein solches Augenmaß besaßen sie für den Mann der Herrlichkeit und Weite, durch den die Welt sollte aufgerichtet und erquickt werden, dass sie gelegentlich wohl ihn anstechen und verspotten mochten; übrigens aber fein zu schweigen und zu tun, als wäre er nicht, schien ihnen glückliche Antwort auf die ungeheuren Anklagen aus seinem heißesten Herzen. (Sie taten auch keineswegs, wie Ev. Joh. 9, 22 erzählt wird, seine Jünger in den Bann.) Wollt ihr nun aber darum Christus keinen Juden nennen, weil ihn die Leiter des Judentums wegen seines Zornfeuers gegen sie nicht anerkannten?*

*) Christus war im Recht gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer — obwohl diese nicht ganz so schlimm sind (nicht so, wie sie im Nachtgemälde des Matthäus erscheinen, eher so schlimm wie nach Lukas) — aber unsre Professoren sind nicht im Recht, die Pharisäer schlimm zu machen; denn sie sind schlimm wie die Pharisäer. Unsere Professoren und literati literarum und alle ihnen an Natur ähnlichen unter den Gebildeten und überhaupt das Wesen der unsere Gesellschaft beherrschenden Bildung und Wissenschaft und die Unwissenschaftlichkeit unsrer Bildung und die Unbildung unsrer Wissenschaft ist alles, mutatis mutandis, ganz wie zu Christi Zeiten; wer das Eine kennt, der kennt das Andre, wer aber die Professoren und Gebildeten aus unsrer Zeit nicht versteht und sich an ihnen frei machen will (statt von ihnen), der versteht auch nicht aus Christi Zeit Christus, steht auf Seiten der Pharisäer und Schriftgelehrten und wird nimmer frei. Die Pharisäer, die blinden Leiter der Blinden, waren die herrschende Partei der Bildung und des bloßen Wissens ohne die lebendige geistige Produktivität. Gegen diese Bildung war der Prophet, der Geistige Christus im Recht, wie er heute noch im Recht ist gegen unsre Bildung; denn was er sagt, gilt auch gegen unsre Bildung, alle seine Worte gelten ewig. Unsre Gebildeten beziehen es nicht auf sich und jeder glaubt, wenn er dabei gewesen wäre, hätte Christus gesagt: Natürlich mit Ausnahme dieses verehrten Herrn!
Vgl. Brunner, Gegen die modernen Ehrenrettungen der Sophisten und der Pharisäer, im Christuswerk.

Warum nennt ihr Protestanten denn Luther einen Christen, der den Papst den Antichrist, die Bischöfe seine Apostel und die hohen Schulen seine Hurenhäuser genannt hat? Ob auch viele Lutheraner ihm das alles wörtlich glaubten und die Calvinisten auf der Synode zu Gap als Glaubensartikel annahmen, dass der Papst der wahrhaftige Antichrist sei -- der Mehrheit der Christen, den Katholiken, galt der Papst und gilt der Papst noch weiter als das Haupt der wahren und unfehlbaren christlichen Kirche und als der Vize-Christus. Und Luther, der bei den Protestanten ein Christ und Gottesmann genannt wird, heißt der katholischen Kirche noch heute ein verabscheuungswürdiger Excommunicatus und Häresiarch. Jahr für Jahr wurden und werden in St. Peter die Protestanten als Ketzer verflucht; noch Gregor XVI. sprach von Luthers "wahnsinnigem und verbrecherischem Versuche", und ganz jüngsthin erst sagte der auch durch seinen Judenhass bekannt gewordene Kanonikus Rohling: "Die gesamte protestantische Theologie und Heiligkeit sei zusammengefasst in den einen Satz Luthers: "Sündige tapfer und glaube noch tapferer." Derselbe Rohling nannte Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin Schurken: "Redlichkeit liebende Protestanten werden sich mit Abscheu von ihren bisherigen sogenannten Kirchen abwenden, wenn sie in Erfahrung bringen, was für Schurken jene waren, die den Protestantismus ins Leben riefen."

Ihr könnt euch jetzt nur noch in eine letzte, aber schwache Festung werfen und sagen: Ja, das sind, das waren die katholischen Christen, aber es stand mit Luther dennoch anders; einige Christen haben ihn gleich zuerst anerkannt. Nun — von wem ward denn Christus zuerst anerkannt? Doch wohl nicht von euch zuerst? Wie hättet ihr von ihm erfahren, wenn nicht durch Juden; würde nicht die Henne gegackert haben, sie hätte ihr Ei behalten. Christus wurde verkannt, gehasst und verfolgt von Juden, und er wurde erkannt und geliebt von Juden. Die Juden waren Saulus und Paulus; die beispiellose Liebe, Treue, Tapferkeit dieser ganz nur auf sich allein gestellten und den Königen der Welt sich entgegenstellenden Ärmsten der Armen hat Jesum Christum der Welt gegeben; mit ihrem Leben und mit ihrem Sterben haben sie ihn verkündigt, mit ihrem Leben und mit ihrem vielmaligen Sterben haben sie bezahlt, was ihr nun das Eure nennt.*

Die Apostel und Evangelisten sind allesamt Juden, die hundertundzwanzig Anhänger, welche zufolge der Apostelgeschichte (I, 15) nach dem Tode Christi gezählt werden, sind allesamt Juden.**

*) Die verhältnismäßig schnelle Verbreitung des Christentums wird erklärt durch die Verbreitung der Juden und des Judentums, die von vielen bezeugt wird, von Strabo, Seneca, der jüdischen Sibylle. Josephus (Bellum jud. VII) versichert, es wäre keine griechische und keine barbarische Stadt zu finden, wo nicht Anhänger von Fasttagen, Kerzenentzündung, einem Ruhetag, Enthaltsamkeit von gewissen Speisen getroffen würden. Die Ausbreitung des Christentums beginnt mit der makkabäischen Wiederbelebung des Judentums.

**) Wie Eusebius (Kirchengesch. IV, 6) bezeugt, bestand bis zum Ende des jüdischen Krieges unter Bar Kochba, 133 n. C, die ganze Christengemeinde zu Jerusalem "aus gläubigen Hebräern" und gab es keine andern Bischöfe als "aus der Beschneidung". Selbstverständlich spitzten sich die Gegensätze zwischen den christlichen und den übrigen Juden im Laufe der Zeit immer mehr zu — bis zur äußersten Feindseligkeit "gegen die Juden" in der Apostelgeschichte und im Johannes-Evangelium. Besonders das Johannes-Evangelium (etwa z.Z. des Bar Kochba entstanden) hat den Ton angegeben für die ganze nachfolgende gehässige Betrachtungsweise der Juden durch die Christen und den Ekelbegriff Juden festgestellt. Dem Johannes dieses Evangeliums, der nicht geschichtlich, sondern ganz ideal nur den Kampf des Logoslichtes gegen die Finsternis schildert, mussten die Juden, die Christo, dem Logoslicht entgegenstanden, zur lichthassenden Finsternis werden.

In den Büchern des Neuen Testaments findet sich keine Zeile, die nicht herrührt von jüdischer Hand und aus jüdischem Geiste, und Christus, der nicht nur beschnitten war, sondern auch ein "Diener der Beschneidung", sagt zum kanaanäischen Weibe, dass er zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel gesandt sei, und hatte zwölf Jünger nach der Zahl der zwölf Stämme; und wo hat Christus seine Lehre in einen Gegensatz zum Judentum gebracht oder als andres denn als Judentum hingestellt? Wo findet sich dafür unter den sämtlichen ihm zugeschriebenen Worten, wo findet sich ein einziges auch nur der Missdeutung fähiges Wort im Munde dessen, der von seiner Lebenstat gesagt hat: "Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen!"* dass Jesus Christus weder auf die Vergangenheit des Judentums sich stützte noch auch an dessen damalige Gegenwart sich anschloss, ebenso wenig aber die originale Neuheit seiner Lehre für die Zukunft betonte, das war, weil er das Ganze des Judentums, des echten, des prophetischen Judentums in sich trug; und darin ist der größte Geniezug des wahrhaft größten Genies zu erkennen, welches nicht auf dem Alten und nicht auf dem Neuen der Welt steht, sondern auf dem Ewigen des Geistes, ob er auch freilich damit für sich selber und für sein Geschick herausfällt aus der haltenden Menschengemeinschaft, ja noch größer, ganz groß: aus der Welt der Dinge.

*) Ganz im gleichen Sinne sagt Spinoza — zum Unterschiede von allen unweit kleineren und großen Originalphilosophen: er bringe nicht eine neue Philosophie, sondern wisse nur, dass er die wahre verstehe. Vgl. Spinoza gegen Kant.

Was Christus von den ihn so tief verachtenden vornehmen Rabbinen seiner Zeit unterscheidet, was ihn von diesen, die Gott dankten, weil sie ihm nicht glichen, unterscheidet wie das Alles vom Nichts: das ist das Licht der absoluten Besinnung (nach dem großen Verlernen und Freiwerden in seiner Einsamkeit und nach erlangter völliger Bewusstheit von dem Gegensatz zwischen ihm und den Andern); das ist seine absolut geniale Natur, immer im allerkühnsten Durchbruch, leidenschaftlich, geistreich-seelenvoll, und die Macht der absoluten Produktivität, die über keiner Einzelheit und keinem gewordenen Außen den ursprünglich erzeugenden Grund verliert, fortgesetzt diesen Grund offenbart und selber erzeugt, überall den Zusammenhang und die Einheit von Erkenntnis und Liebe in sich erlebend und in Andern lebendig machend; das ist seine Liebe bei solcher Kampfkraft der Liebe; das ist sein Hirtensinn, dem der Schafe keines gering ist, der alle die neunundneunzig Schafe lässt, dem einen verlorenen nachzugehen, und mit Freuden auf seinen Schultern es zurückbringt; das ist sein Erbarmen mit den Seelen, welches nicht erst am Kreuz die Arme ausbreitet, und sprach: "Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid," und so zu Allen sprach, trotzdem niemand wusste gleich ihm, dass nur Wenige auserwählt sind und der Wind weht, wo er will — die mit der Sonde des geistlos kritischen Verstandes mögen das als unerklärlichen Widerspruch in der Genialität Christi empfinden. Das macht Christus einzig: seine Herrschaft im Reich der Seelen, seine unbegrenzt hohe inspirative Erregtheit und sein Intuitivismus, d.i. mit anderem Worte seine höchste Prophetenkraft. Denn wir wollen, nein gewiss, wir müssen so einteilen: die kleinen Propheten, die großen Propheten und der größte Prophet Christus. Aber kein Prophet kann, wie Mos. V, 13 einschärft, am Gesetz ändern. "Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen!"

Und er hätte erfüllt zunächst unter den Seinen, unter den Juden, wenn das Unglück Zeit gelassen hätte, wenn nicht gar so wenige Jahre nur gewesen wären, Jahre der Not und des Krieges, die zur politischen Vernichtung führten. Die Auflösung der jüdischen Nation hat - und vor allem ihr habt - Christus aus seinem Kreise gezogen und seine Wirkung auf das Judentum abgeschnitten und habt uns weggehasst von ihm. Ihr habt seinen Namen für uns zum Schrecken gemacht und unser eignes Blut gegen uns zur Geißel; ihr habt uns genötigt, Christus unter feindlichem, unter fremdem, unter dem Gesichtspunkte eures Christentums zu betrachten. Da ist aber in Wahrheit kein Gegensatz und kein Bruch vorhanden, da besteht kein Unterschied zwischen seinem Christentum und dem Judentum wie zwischen Schmetterling und leerem Raupengespinst; und mit eurem Ebjonitismus gegen Paulinismus, Partikularismus gegen Universalismus sucht ihr vergeblich die Juden des Paulinismus und Universalismus scholastisch-sophistisch in Nichtjuden und Gegenjuden umzuhexen.

Auch ist ja mitnichten so, dass dieser Universalismus erst von Paulus erfunden sei. Er wird bei fast sämtlichen Propheten, desgleichen in den von prophetischen Dichtern herrührenden Psalmen angetroffen; und ist nicht Jona, "der Schlemihl unter den Propheten", ein rechter Heidenapostel, und verkündigt nicht Daniel unter den Heiden? Und Jesaia spricht nicht nur zu Heiden, sondern,  w i e  er zu ihnen spricht — man lese doch nur Jes. 16,9-11; 21,1-10 — ist es, als wäre er selber ein Heide; so tief und gewaltig klingt sein Schmerz und seine Trauer über das, was er verkündigen muss! Jeschajahu, Jesaja, dieser "Evangelist des Alten Testamentes", ist so universalistisch wie der Heidenapostel Paulus, der so Jude war wie Jesaia. Und Jude bleibt Jude — nicht wahr, das gilt euch doch auch sonst wohl? Alle diese Juden waren Juden und blieben Juden, betrachteten auch sich selber als Juden und wurden von den übrigen Juden so betrachtet (noch Josephus rechnet "die Christen" zu den Juden); und die ihr schon Christen nennt und gegenüberstellt den Ebjoniten oder Judenchristen (zu denen ihr vor allem Christus selber rechnen müßtet!), die wollten als Christen nicht Nicht-Juden, sondern erst recht Juden und nicht Judenchristen, sondern Judenjuden sein. Jude bleibt Jude — warum fällt euch das in diesem Falle so schwer zu begreifen? Alle diese Juden waren Juden und blieben Juden, und Jesus Christus war und blieb der allerjüdischste Jude des Judentums. Nach seiner Natur und seinem ganzen Gepräge, nach seiner Empfindungsweise, nach seiner Gesinnung, nach seinen Gedanken, nach seinem Vornehmen und Gebaren und nach allem "Was und Wie" seiner Worte ist Jesus Christus der allerjüdischste Jude; den wir nun hiermit zurückfordern als den Unsrigen, dem wir Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, indem wir ihn unter dem Gesichtspunkte unsres Judentums ansehen und seine Lehre nützen und in ihrer Reinheit herstellen, wie sie bis heute noch nicht stand.

So könnten wir sprechen und mit euch rechten, und es wäre unser Recht.

So würden wir sprechen, wenn wir gewillt wären, zur Welt des Jesuismus und alten Judentums zurückzukehren. Wir sind aber keineswegs gewillt, dies zu tun; wir können es so wenig tun, wie ihr es konntet oder könnt. Wir sind beide von dieser Welt eine Welt entfernt; ein blaues Gebirge liegt hinter uns, und der Strom kehrt nicht um zur Quelle.

Aber hört wohl an, was wir tun werden in Hinsicht auf das, worin wir noch die gleichen sind, wie unsre Vorfahren in ihrer Welt gewesen. Denn im Verhältnis zu allem, was sich geändert hat, im Verhältnis zu allem Veränderlichen haben auch wir Veränderliche und Endliche, haben wir Strömende im Strome uns geändert; mit all unsrem Fühlen, Wissen, Wollen, mit dem ganzen Weltbewußtsein sind wir andre geworden, durch und durch veränderte Andre, und gleichen damit wesentlich denen, die zusammen mit uns unter den gleichen Bedingungen leben, und sind in allem Kinder unsres Vaterlandes wie seine übrigen Kinder...
zurück zum ersten Teil...

Weiteres von und über Constantin Brunner:

Vom Phantom zur Psychopathologie:
Der Judenhass und die Juden
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viel bereits zu diesem Thema gesagt und geschrieben, geforscht und gedacht wurde, und wie resistent sich das Leiden gehalten hat. Gemeint ist der Antisemitismus, der besser als Judenhass bezeichnet werden sollte, wie es C. Brunner sehr überzeugend anmahnt...

Es kann immer noch schlimmer werden:
Das Leiden am Judenhass
Brunner nahm die deutschen Nicht-Juden vor der Behauptung der Antisemiten in Schutz, dass ein einziger Jude neunundneunzig Nicht-Juden in der Hand habe. Eine solche Aussage sei doch wohl nicht nur eine eigentümliche Überschätzung der Juden sonder auch eine ungeheuerliche Beleidigung der Nicht-Juden...

Was tun?
Über das Unglück der Antisemiten

Kern dieser Überlegungen ist C. Brunners Frage, wie man an die "Antisemitenfrage" - in Analogie zur vielfach postulierten "Judenfrage" - herangehen soll, oder noch präziser: "Wie und wie weit lässt sich den bejammernswerten Leuten helfen, die an den Juden verrückt geworden sind, und auf welche Art können in Zukunft andre vor dem gleichen Unglückslose bewahrt werden?"...

Constantin Brunner:

Leiden an Deutschlands Unglück
Wie liebe ich mein Deutschland in seiner düstern Schmach und in seiner lichtbeseelten Wundergröße! Ich liebe Deutschland, Deutschland über alles...

dg - hagalil.com November 2007