Was
tun?
Über das Unglück der Antisemiten
Kern dieser Überlegungen ist C. Brunners Frage, wie
man an die "Antisemitenfrage" - in Analogie zur vielfach postulierten
"Judenfrage" - herangehen soll, oder noch präziser: "Wie und wie weit
lässt sich den bejammernswerten Leuten helfen, die an den Juden verrückt
geworden sind, und auf welche Art können in Zukunft andre vor dem
gleichen Unglückslose bewahrt werden?"
Die Antisemiten schaffen sich imaginäre Juden, da die
wirklichen ihrem Hass und Verachtungsbedürfnis kein Genüge tun; ihre
Behauptungen widersprechen durchweg der Realität. Z.B. die Juden
strebten nach der Weltherrschaft und besäßen sie schon zum Teil. Von
Weltherrschaft der Juden lässt sich doch wohl nur reden, wenn man unter
dem Worte Herrschaft Unterdrücktsein versteht; und sieht man auf die
Feindschaft, der sie von vielen Seiten her sich ausgesetzt finden, und
wie sie wirtschaftlich zurückgedrängt werden, und ferner darauf, dass
ihre Zahl durch Taufen und Mischehen sehr beträchtlich vermindert wird,
und endlich gar auf den ungewöhnlichen Rückgang der Geburten unter
ihnen: so könnten Urteiler von ähnlicher geschichtlicher
Kurzsichtigkeit, wie sie den Antisemiten eignet, und von gleicher
Neigung zu großen Worten, mit immerhin besserem Rechte vielmehr von
einem Verzweiflungskampf der Juden reden und deren Untergang
prophezeien*.
*) Siehe dazu auch Adolf und Felix Theilhaber (Daniel-Bund e.V.
Gesellschaft für ethische Erneuerung des Judentums, München 1921) -- Die
Zahl der Mischehen ist wie die der Taufen beständig wachsend, und die
Kinder aus den Mischehen sind nicht etwa zur Hälfte jüdisch: nach einer
statistischen Berechnung waren am 1. Dezember 1905 von Kindern aus
solchen Mischehen nur 22,67 Prozent jüdisch, wovon ganz gewiß im
späteren Lebensalter noch ein beträchtlicher Teil vom Judentume sich
abwendet.
Ihre Lage in der Welt ist im allgemeinen wahrlich
nicht danach, dass sie an Weltherrschaft denken könnten; neun Zehntel
der Juden leben in Schmach und äußerster Lebensnot und tragen dies mit
Heroismus — der englische Reisende E. B. Lanin schreibt: eine der
Maßregeln gegen die russischen Juden würde hinreichen, in einer Woche
drei Viertel der russischen Christenheit zum Buddhismus oder zum
Schamanentum zu bekehren.
Schwerlich auch sinnen die Deutschen jüdischer Abstammung auf
Deutschlands Vernichtung. Durchweg — was für die Staatsbürger im
Rechtsstaate das Entscheidende ist — tragen sie im gleichen Verhältnis
wie die übrigen Staatsbürger alle Lasten und erfüllen sie alle
Pflichten, die der Staat auferlegt; trotzdem sie hinsichtlich der Rechte
immer noch Beschränkungen erfahren und noch im Kampfe stehen, damit auch
für sie die Lasten und Pflichten und Verdienste das Maß ihrer Rechte und
Freiheit werden und dass ihnen ihr Rechts- und Friedenskreis
unangetastet bleibe. Die Deutschen jüdischer Abstammung empfinden
vielleicht so vaterlandshaft, sind so nationalpolitisch, so
nationalsozial und so nationalkulturell wie die Deutschen von andrer
Abstammung — messen mit Metermaß lässt sich's nicht; wir wollen sehen,
was uns davon im folgenden aufstößt. Das Verderben Deutschlands können
sie unmöglich sein: unser Deutschland hat noch nie so groß in der Welt
gestanden wie eben in diesen Zeiten, wo die Antisemiten unaufhörlich
wegen der Juden ihr Finis Germaniae wimmern, und wo noch andere schlimme
Leute in Deutschland vorhanden sind, welche an Zahl die Zahl sämtlicher
Juden Deutschlands übertreffen -— die Zuchthäuser und übrigen
Strafanstalten behaupten das doch wohl nicht, weil sie verjudet sind?**
— und wo noch gar viele andre Übel gegen uns beißen.
**) Selbst aus der Verjudung der Richter lässt es sich nicht
erklären. Zufolge unsrer Reichskriminalstatistik sind im Deutschen
Reiche nach den Reichsgesetzen bestraft jeder 6. Mann, jedes 25. Weib,
jeder 43. Knabe, jedes 213. Mädchen. Vom 1. Januar 1882 bis Ende 1910
sind über 7,5 Millionen verschiedene Personen nach den Reichsgesetzen
verurteilt worden, — nur nach den Reichsgesetzen wegen Verbrechen und
Vergehen, nicht mitberücksichtigt sind dabei die Übertretungen
(Bettelei, Landstreicherei, Gewerbsunzucht), die Feld- und
Forstrügesachen, die Zuwiderhandlungen gegen Landesgesetze, die Zoll-
und Steuerdefraudationen, die Verurteilungen durch Militärgerichte
(Finkelnburg: "Die Bestraften in Deutschland").
Nun sind 650.000 Bestrafte bei uns gewiss erklärlich; denn so viele
Juden haben wir. Ein Einwand, der von kurzsichtigen und böswilligen
Menschen erhoben werden könnte: es seien ja keineswegs sämtliche
jüdische Säuglinge vorbestraft, ja nicht einmal sämtliche ausgewachsene
Juden und Jüdinnen? ist ganz hinfällig und erledigt sich natürlich aus
der Verjudung der Richter, die tückischerweise, um die Juden zu schonen,
und damit nicht die Wahrheit über sie ans Licht komme, an Stelle von
Juden irgend welche in den Gerichtsgebäuden gerade zur Hand befindliche
Christen verurteilen, sogar Antisemiten, "herrliche, aufrechte Leute;
während den Juden jede Frechheit und Schandtat erlaubt ist" —
uprechtas'n Kooschwanz, heißt es in Holstein.
Also 650.000 Bestrafte in Deutschland sind erklärt. Woher aber die
übrigen Millionen kommen?! Denn die Richter können ja nicht und brauchen
ja nicht hinsichtlich der Verurteilungen verjudeter zu sein als
numerisch Juden vorhanden sind — ? Da ist ein gewaltiges Problem, von
dem man nur hoffen kann, dass es durch die exakte antisemitische
Wissenschaft baldigst seine Lösung finden werde.
Und wer's nicht glauben will, dass die Antisemiten tatsächlich solchen
Blödsinn verbreiten bringt der Autor (C. Brunner) noch ganz nebenbei
eine Belegstelle aus dem antisemitisch-wissenschaftlichen Werke
"Semi-Gotha" zur Kenntnis. Dort wird tatsächlich behauptet :
"Bei Zeitungsnotizen, wo der Name der Beschuldigten oder Bestraften
nicht genannt ist, handelt es sich stets um Juden, deren Sprossen oder
Affiliierte. Und dies hat seinen besonderen Grund. Im Jahre 1889 hat
sich in Frankfurt a. M. ein Verein jüdischer Bankiers, Großhändler,
Advokaten usw. gebildet, zwecks die vor Gericht Angeklagten und auch die
Zeugen und sonst Beteiligten vor der Namensnennung zu schützen —
natürlich nur, wenn Juden (-Sprossen) in Frage kommen."
p.84ff Edition 1919
Wir sehen alle diese Übel; denn wir sehen nicht wie
die
Antisemiten, die gleich den Verrückten sehen, nach dem Spezialismus der
Verrückten: für alles nur ihren einen Grund, nur das eine Übel. Wir
sehen die vielen Übel, die gegen uns beißen, widerstehen aber kräftig,
sind zurzeit noch ungefressen und vertrauen, dass es noch lange gut und
immer besser mit uns laufen soll.
Ganz offenbar unterliegen die Antisemiten einer Einbildung,
Einbildung aber kann so unglücklich machen wie Wirklichkeit (Fälle von
Narrheit der verschiedensten Art beweisen das); und die Antisemiten sind
unglücklich, nichts als unglücklich — o! der ganz unglückseligen Narren,
die nicht lachen können! Kenntnis der Juden ist schwer, Kenntnis der
Antisemiten ist gleichfalls schwer — vielleicht bringen wir etwas Licht
in beide Finsternisse.
Ohne weiteres ist nicht zu verstehen, warum die Antisemiten so
störungslos unglücklich, warum sie nicht gesprenkelt sind, einmal
unglücklich und einmal glücklich. Glücklich z.B. über die vielen
Berufsarten, in denen gar keine Juden angetroffen werden? Aber nein, sie
sind nichts als unglücklich über die wenigen Berufszweige, wo —
infolge der Aussperrung aus den vielen — Überfüllung mit Juden statthat.
Oder könnten sie nicht der Freude sich hingeben, z.B. darüber, dass der
Juden Anteil an Mord, Totschlag, Brandstiftung und schweren
Sittlichkeitsverbrechen nur gering ist? Weit gefehlt, elend härmen sie
sich über die Vergehen durch Juden, — die Liebgesinnten möchten die
Juden als gänzlich fleckenlose Wundermenschen, bei denen vollkommene
Tugend und alles das angetroffen wird, was heute und morgen, hier und
dort, von diesem und dem dafür gehalten wird. Ehe nicht sämtliche Juden
ohne Ausnahme so sich darbieten, gibt es keine Freude für den
Antisemiten, höchstens Schadenfreude; es gibt kein Glück für den
Antisemiten, nichts als Unglück!
Also doch: Die "Antisemitenfrage"?
Und um so eher denn, als, wie ich wenigstens überzeugt bin, am
Antisemitismus keineswegs nur Borniertheit und Bosheit Anteil hat,
sondern auch Aufrichtigkeit und guter Wille, und unter den so
unglücklichen, unseligen, ganz und gar durchbitterten Antisemiten
Idealisten sich befinden, zu denen man sagen muss: Wir lieben euren
Idealismus, aber nicht euer Ideal; ihr seid ehrliche Leute, nur eure
Wage taugt nichts! und die man zurückbringen möchte, damit sie aus
wuthaft schädlichen vielmehr besonnene, nützliche, gesunde Glieder des
Vaterlandes werden, denen nicht länger in allen den Nachtfarben die
wüsten Gespenster dahererscheinen, — um so eher muss vom
vaterländischen, vom deutschnationalen Standpunkte aus die
Antisemitenfrage folgendermaßen formuliert werden... ... ...
... ... ... Hier war auch im Schreiben eine Pause. Mir ist in der
Zwischenzeit eine kleine Zusammenstellung von Urteilen der
allermaßgebendsten Persönlichkeiten über die Antisemiten in die Hände
gefallen; ich habe dann selber noch weitere Urteile solcher Art
zusammengebracht. Nach den Urteilen dieser allermaßgebendsten
Persönlichkeiten brauchte ich mein Buch gegen die Antisemiten nicht
weiter zu schreiben, was mir lieb wäre; denn mein Sinn steht im Grunde
auf sehr Anderes.
Geisteskrankheit oder Phantom?
Nach dem Urteil der Allermaßgebendsten der Oberschlauen gibt es nämlich
gar keine Antisemiten. Die Allermaßgebendsten sind hier natürlich die
Antisemiten selber. Die Urteile stammen aus der besten Zeit des
Antisemitismus und betreffen seine ersten Führer, d. h. solche, die ich
bisher dafür und die ich für Großantisemiten gehalten hatte. Sie sind
keine Antisemiten.
Ist z. B. Böckel ein Antisemit? Nein! Von ihm schrieb das Stöckersche "Volk":
"Wenn die Juden und Judengenossen ihn dafür bezahlt hätten, hätte er es
nicht besser machen können," und ein andres Mal: "Wäre das nicht echt
Böckelsch, so würden wir es echt jüdisch nennen."
Ist denn aber das Stöckersche "Volk" antisemitisch? Nein! Das
antisemitische "Frei-Deutschland" Försters wirft ihm
"undeutschen, jüdischen Geschäftsgeist" vor, und der (inzwischen
hoffentlich) verklärte Stöcker selber war auch keineswegs Antisemit. Die
antisemitischen "Unverfälschten deutschen Worte" des Herrn Schönerer
schrieben, Stöcker habe "das wahre Wesen des Christentums gar nicht
erfasst und setzt aus diesem Grunde an dessen Stelle einen christlichen
Talmud"; Böckel klagte in seinem "Reichsherold": "Bei uns findet
jeder Aufschneider, Wichtigmacher und Schwindler noch immer seine
Anhänger" und, was dasselbe ist, "Opfer", man läuft allen möglichen
Irrlichtern nach, und deren sind viele und waren viele: Stöcker,
Ahlwardt, Groussiliers, Pinkert, Ruppel, Henrici, B. Förster usw., was
sind und was waren sie anders als Irrlichter, die unsre Bewegung in den
Sumpf geführt haben". Ahlwardt warf Stöcker "bewußte Unwahrheit,
Infamie, Gemeinheiten ersten Ranges, Heuchelei und Verleumdung" vor, in
der "Israelitischen Wochenschrift" stehe ein ganz ähnlicher Angriff
gegen ihn wie in einem Stöckerschen Artikel, vielleicht sei es derselbe
Verfasser, und ein Ahlwardtianer sagte von den Stöckerschen
Christlich-Sozialen: "Die Christlich-Sozialen sind tausendmal schlimmer
als die Juden." Dass Böckel nicht als Antisemit gelten kann, wissen wir
bereits, Schönerers Verjudung wurde von dem Antisemiten Astl-Leonhard
erwiesen, und man glaube auch nur ja nicht, dass Ahlwardt Antisemit sei.
Nein! Die antisemitische "Schlesische Morgenzeitung" schrieb:
"Ahlwardt nimmt es mit den geriebensten Juden an Geschäftskenntnis und
Ungeniertheit auf", und die antisemitischen "Dresdener Nachrichten":
Ahlwardt sei ein Mann, "der dem Juden Manche als Agent gegen Provision
für Orden- und Titeljäger diente, der einst vor einem
christlich-jüdischen Konsortium, welches ihn aus der finanziellen Klemme
reißen wollte, den heiligen Schwur ablegte, dass er allezeit den
Antisemitismus als eine schmachvolle Bestrebung verdammen werde, der
wiederholt nachweislich sein Ehrenwort gebrochen hat, der bei dem
sozialdemokratischen Juden Singer Pumpversuche gemacht, der wiederholt
Gefängnisstrafen verbüßt und noch zu verbüßen hat, der vor den Augen von
ganz Europa im Reichstage als ein berufsmäßiger Verleumder in seiner
ganzen Blöße entlarvt worden ist. Ein solcher Kerl wagt es, unter dem
frenetischen Beifallsgeheul von Leuten, die sich Antisemiten nennen,
einen Stöcker, einen Liebermann von Sonnenberg einen Judenknecht, einen
Verräter zu nennen. Und von einem solchen Lump glaubt man, dass er sich
noch häuten und ein anständiger Mann werden kann. Gegen jüdische
Korruption will Ahlwardt kämpfen, und doch ist er, seitdem ihm die Larve
vom Gesicht gerissen ist, verächtlicher als irgend eine Giftpflanze, die
je auf dem Beete dieser Korruption emporgeschossen ist. Es ist eine
heuchlerische Lüge, wenn jemand behauptet, gleichzeitig ein Anhänger
Ahlwardts und ein königstreuer Deutscher zu sein, und jeder ehrenwerte
Reformer, der es mit seiner Sache gut meint, sollte demjenigen auf den
Mund schlagen, der es fertig bringt, nach einem Hoch auf Ahlwardt ein
solches auf Seine Majestät den König auszubringen und "Deutschland,
Deutschland über alles" zu singen."
Ist denn aber wenigstens der Reformverein in Leipzig antisemitisch?
Nein. Der Antisemit M. Wirth schrieb, bei dem Vorstande des
Reformvereins "dürften selbst die Verfasser des Schulchan-Aruch für die
Abschnitte ihres viel angeführten Buches, wo es sich um die Vorschriften
für jüdische Richter in der Rechtsprechung zwischen Gois und Juden
handelt, noch haben in die Lehre gehen können. Der Vorstand des
Reformvereins als Judenschule — ein Endpunkt der Entwicklung, die
sicherlich wert ist, zum Gegenstande eines eingehenden Nachdenkens
gemacht zu werden."
Nicht einmal der "Bund der Landwirte" ist antisemitisch. Die
antisemitische "Deutsche Ostwacht" schrieb: "Wenn der "Bund der
Landwirte" nicht antisemitisch werden will, dann muss er von den
Antisemiten bekämpft werden; ist doch heute schon ein an leitendem
Platze angestellter Sekretär des Bundes ein Jude!"
Kein Antisemit ist ein Antisemit, auch nicht einmal Theodor Fritsch, dem
der eben herausgekommene "Semi-Gotha" so viel verdankt; welchem Buche
auch ich hier bereits ein schönes Zitat verdanke (s.o.) und für das
folgende noch ungezählte schöne Zitate verdanken würde — man könnte das
Buch wie eine Artischocke Blatt um Blatt ausziehen und mit Nutzen
gebrauchen... aber ich gebrauche nun nichts mehr, nichts mehr. Ich
schreibe kein Buch weder gegen noch für die Antisemiten — jawohl, ich
hätte mich vielleicht noch besonnen und wäre für die Antisemiten
eingetreten, für die unterdrückte Minderheit im Lande, für die edlen
Geknechteten, von der Last ihres Grames über Deutschlands Unglück
Zerquetschten. Nun denke ich an keinerlei Buch mehr wegen der
Antisemiten; denn d a r i n bin ich einig mit sämtlichen
Philosophen, dass es, zum Behuf eines Buches wegen der Antisemiten,
zuerst Antisemiten geben müsse: es gibt aber keine — wo soll ich noch
auf einen Jagd machen, wenn nicht einmal Theodor Fritsch einer ist!
In der antisemitischen "Westph. Reform" liest man: "Die kluge
Geschäftlichkeit gewisser Leipziger Zeitungsmacher und Broschürenhändler
ist allgemein bekannt: wir selbst haben noch kürzlich eine entscheidende
Probe aus dem pseudo-antisemitischen Geschäfte der Firma "Itzig Frech,
Frey (früher Fritschs Schriftstellername) & Co." unter die Lupe genommen
und dem Publikum mit den zugehörigen Erläuterungen vorgezeigt... Jeder
auch nur einigermaßen mit händlerischen Praktiken Vertraute merkt
ohnehin sofort heraus, dass er es mit nichts weiter als mit einem
judenhaften, auf den Kundenfang berechneten und nicht einmal mehr
originellen Geschäftskniff zu tun hat"; der Antisemit Lucko schrieb:
"ein ganzes Konglomerat von sogenannten "jüdischen" Eigenschaften
vereinigt sich in dem Techniker Theodor Fritsch, "er bezahlt seine Leute
noch schlechter als die Juden''; und der Antisemit Wilhelm Marr
(Verfasser der Schrift "Verzweiflungskampf gegen die Juden", den die
Antisemiten ebenfalls einen Juden nennen) sagte: "Leute wie Fritsch
erscheinen in meinen Augen immer mehr als schlaue
"Trödelkram-Antisemiten", die in der Praxis den Juden noch zehn Doubles
vorgeben könnten", und er rechne "den antisemitischen Zirkusdirektor
Fritsch in die Kategorie der Hosen verkaufenden Jünglinge aus Polen".
Kein Antisemit, der jemals einen Juden entrüstete, ist ein Antisemit;
die Antisemiten scheinen allesamt selber Semiten, Juden zu sein, von
denen auf keine Art zu begreifen ist, wie sie sich über ihre
Stammesgenossen entrüsten und Antisemiten sein können. Antisemiten
müssen offenbar ganz andre Leute sein als Antisemiten; da ja die
Antisemiten, wie die Antisemiten sagen, Juden sind, keineswegs gleich
den eigentlichen Antisemiten, herrliche Männer, sowohl selber
unverdorben wie auch Sorge tragend, dass andre nicht verderbt werden,
und allezeit nur um das größte bemüht: solche Antisemiten sind die
Antisemiten gar nicht, sondern Juden sind sie, und "wie das ganze Volk
der Juden" (mit dem Antisemiten Förster zu reden, der gleichfalls ein
Jude ist) "Verbrecher, Ausgestoßene, die, an Leib und Seele verseucht,
furchtbare Epidemien in die reine Herde des christlichgermanischen
Volkes tragen", daher es verzeihlich sei, auch wenn gegen die Juden zu
weit gegangen würde: "der glühende Hass, der edle Zorn und die
unauslöschliche Rache sind ruhmvolle Eigenschaften des echten deutschen
Christen."
Das letzte und manches andre will mir nun doch wieder antisemitisch
klingen. Freilich rührt es von Leuten her, die nach dem Urteil der
maßgebenden Persönlichkeiten, der Antisemiten, keine Antisemiten sind.
Aber eben diese Antisemiten, die so urteilen über "Leute, die sich
Antisemiten nennen", sind ja keine Antisemiten, vielmehr verjudet, Juden
und Schlimmere als Juden in Schlimmerem, als worin die Juden überhaupt
schlimm sein können — d a r i n sind die Antisemiten nur beiläufig
schlimm, worin die Juden schlimm sind, sind schlimm aber sogar im
allerwichtigsten und idealsten, im Ruinieren der antisemitischen Sache;
und keines der angeführten und kein einziges der hier nicht angeführten,
gleichwertigen Blätter, die sich antisemitisch nennen, ist wirklich
antisemitisch: allesamt sind sie verjudet nach dem Urteile, welches über
sie gefällt wird von andern Blättern, die sich ebenfalls antisemitisch
nennen, oder welches sie übereinander fällen. So kann ich mich am Ende
doch nicht richten nach diesen Urteilen. Dürfen für mich Urteile über
Antisemiten maßgebend sein, die von Verjudeten, von Juden und von
Schlimmeren als Juden herrühren? Nein, das dürfen sie nicht; ich
versichere, das sollen sie nicht. Denen kann ich nimmer glauben, sie
seien Antisemiten, die mich glauben machen wollen, dass es Schlimmere
als Juden gibt. Diese Behauptung allein beweist, dass, die solches
behaupten, keine Antisemiten sind. Wie komme ich denn nur dazu, zu
behaupten, "dass sie keine Antisemiten sind?" — als gäbe es Antisemiten,
wenn sie keine sind und keiner einer ist! Wie komme ich, ausgerechnet
ich, dazu, keine Antisemiten mit Antisemiten zu verwechseln; wie komme
ich noch dazu, das ganz sinnlose Wort "Antisemit" im Munde zu führen?
Weh!
Ich rede bereits verwirrt; das machen die Maßgebenden. Sie beweisen,
dass nur Juden leben; gleichwie es in der Natur keinen leeren Raum gibt,
so gibt es in der Menschheit keinen nichtjüdischen Menschen: und ich
wollte ein Buch schreiben, welches die Existenz von Antisemiten zur
Voraussetzung hat? Inhalt für ein Mauseloch will ich eher werden und
durch die Erde fallen, als dieses Buch schreiben oder irgend andres tun;
solches bewirken in mir die "Maßgebenden"!
Indem ich mir aber so sage, sehe ich auch schon Licht und Rat: Die
Maßgebenden werden nicht maßgebend sein. Kurz und gut oder schlecht,
wahrscheinlich aber gut: ich höre nicht auf sie; wie ich auch in andren,
größeren Dingen auf andre Maßgebende mit Glück nicht gehört habe. Ich
glaube wie früher, nach meinem eignen unmaßgeblichen Urteile, an
Antisemiten, nur also, ich will keinen für maßgebend halten — ich
glaube, dass Antisemiten sind, weil Antisemiten sagen, es sind keine.
Das kommt von den faustdicken Wahrheiten der Antisemiten, dass man das
Gegenteil für wahr hält.
Fast müsste man schon, da doch die Antisemiten von den Juden reden, die
Existenz der Juden bezweifeln. Doch ich bin stark im Glauben, glaube
also an Juden wie an Antisemiten; und dass mir vorhin schwach und wehe
ward, das ist: weil ich des Buches genesen soll! Einem alten Weisen
zufolge werden vor dem Gebären vierundneunzig Angsttöne ausgestoßen,
welche das Herannahen des Todes zu verkünden scheinen, und nur ein Laut
der Lebenshoffnung ist dabei. Aber nun ging alles vorüber, und das Buch
wird leben. Ich schreib es voran, und ohne länger zu tappen, fahre ich
fort, im angefangenen Satze:
... ... ... um so eher muß die Antisemitenfrage formuliert werden: "Wie
und wie weit lässt sich den bejammernswerten Leuten helfen, die an den
Juden verrückt geworden sind, und auf welche Art können in Zukunft andre
vor dem gleichen Unglückslose bewahrt werden?"
Vielleicht legt man diese Frage, wie derlei jetzt an der Mode ist,
wissenschaftlichen Kapazitäten vor, am Ende Psychiatern? Man könnte
allen Ernstes die Antisemiten oder Judenverrückten als besondere Klasse
der Verrückten unterscheiden; die sich — ebenso wenig wie andere
Verrückte — auf keine Art ihre Wahnideen ausreden lassen.
Sie halten im Widerspruch zu den wirklichen Umständen daran fest; da
gibt es kein logisches Korrigieren, weil keine logische Beziehung
zwischen den Vorstellungen und deren äußerlich wirklichem Anlass — wenn
die Sonne schiene, wäre nicht so schwarze Nacht; ganz umsonst, dass du
dich auf Tatsachen und Wahrheit einerseits, auf die geschichtliche
Unmöglichkeit andrerseits berufst. Welch ein Zustand der Köpfe muss sein
und welche Begriffe von Geschichte müssen in den Köpfen sein, um z. B.
glaublich zu finden, dass die in der ganzen Welt zerstreuten,
unterdrückten Juden durch zwei Jahrtausende hindurch einen gemeinsamen
Plan festgehalten und verfolgt hätten: den Plan zur Unterjochung der
"Arier"!! Derartiges und ähnliches muss mit Energie gänzlich und für
immer fahren lassen, wer aus der Unzurechnungsfähigkeit, Lächerlichkeit
und Bedenklichkeit heraus, auch in seinen Gedanken keinen andern
Charakter als den der Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit bewähren und von
allem die rechte Wahrheit ergreifen möchte.
Menschenunmögliches ist von den Juden nicht zu erwarten; so erwartet und
glaubt nur die antisemitische Verrücktheit, die, was und wie auch ein
Jude in natura sein, tun, reden möge, immer gewiss bleibt, dass er
unmöglich andres weder äußern noch beabsichtigen könne als schnurgerade
das ihres Juden in effigie, d. h. hier: ihrer Fiktion vom Juden, dem
nichts zuzutrauen als Böses, Boshaftes und grausige Geheimnisse! Auch
die übrigens Vernünftigen sind in Hinsicht auf die Verrücktheit ihres
Antisemitismus mit einer Brandmauer gegen ihre Vernünftigkeit
abgesperrt: die Vernünftigkeit kommt niemals bis hin an die
Verrücktheit, sie könnten sich gerade so gut die Nase abbeißen. Wer noch
keine Antisemiten wirklich kennt und diese Blätter weiter und zu Ende
liest (denn es lässt sich nicht so mit einem Schuss in den Leser
hineinbringen, man muss sich an den Mittelpunkt der Sache nach und nach
heranbauen), — der wird mein Urteil nicht für übertrieben halten und
sagen: Ja, ich habe eine besondere Klasse von Verrückten kennen gelernt,
mit denen es keine Auseinandersetzung gibt, in denen die Wahnidee
besteht hoch über ihrem Gegenstande. — Also, will man die Frage
psychiatrischen Kapazitäten vorlegen? An Antworten wird es nicht fehlen;
gerade die Psychiater beantworten heute merkwürdig viel. Und sollte sich
am Ende wirklich etwas tun lassen, so werden einsichtige und
vermögenskräftige Juden, bei ihrer anerkannten Mildtätigkeit, Hilfe
nicht versagen gegen ein Unglück, gegen das Unglück einer Krankheit, die
sie selber, ob auch nur durch ihre bloße Existenz, verschuldet haben.
Dies jedenfalls scheint ihrer nicht würdig, dass sie den Antisemiten,
kranken Menschen, auf die Art danken, wie sie gegrüßt werden.
Ob sich aber tun läßt ? Ernsthaft; und die Psychiater bei Seite, vor
denen die Krankheit des Antisemitismus sich so wenig fürchtet wie vor
irgend andrem — denn sie ist nicht heilbar, ganz heilbar dürfte sie
niemals sein; aber es steht deswegen, wie wir am Ende auf höherem
Standorte erkennen werden, auch selbst für die Juden keineswegs derart,
dass sie ihre Sache in der Welt aufgeben müssten, wie auf niederem
Standpunkte gar nicht wenige von ihnen urteilen; vielmehr gilt, dass
sie, was denn eigentlich wahrhaft ihre Sache sei, mitsamt der
Feindschaft, der sie sich ausgesetzt finden, -- dass sie davon die
rechte Bedeutung für die Ordnung und den Sinn des Ganzen, rückwärts und
vorwärts, dass sie davon die geschichtliche Bedeutung und Größe im
Gedanken herausheben und ohne Trübung festhalten. Zuerst aber müssen wir
den Antisemitismus als Teil verstehen lernen, der in der Tat eine
Verrücktheit ist — wie Tollwut (mit Ausbrüchen von Zeit zu Zeit) und
auch ansteckend wie Tollwut, dennoch aber vor die Psychiatrie, wie sie
heute unter uns betrieben wird, und vor unsre Psychiater nicht gehört,
zumal es denen an Psychologie zu fehlen pflegt — und die Psychopathia
antisemitica gehört hinein in die allgemeine Psychologie, in die
psychologische Anthropologie.
Das Verständnis des Antisemitismus hält, wie schon oben gesagt worden,
bei aller Kenntnis von Juden und Antisemiten, ganz unmöglich ohne die
Kenntnis der allgemein menschlichen Natur nach ihrer wirklichen
Beschaffenheit; wir müssen also, zu richtiger Epikrise, weitergehen als
der antisemitische Nachdenker, der den Juden, oder als der jüdische, der
den Antisemiten die Schuld gibt. Es wird sich herausstellen, dass der
Antisemitismus zu einer Art von Seelenkrankheit gehört, welche nichts
ist als die Steigerung eines der menschlichen Natur grundwesentlichen
Zustandes — sonst auch würde der Antisemitismus in der Allgemeinheit
mehr schänden: so aber, obwohl er eines Ansehens in der Allgemeinheit
sich wahrlich keineswegs erfreut, schändet er doch auch nicht wie andre,
gleich große Schändlichkeit; ja unbezweifelbar enthält seine Rede etwas,
womit manchen nicht gerade antisemitischen Leuten die Lippen zugenäht
werden, und es freut sie, dass von Andern getan wird, was freilich sie
selber nicht tun mögen. Sie spüren Verwandtschaft und ihre Natürlichkeit
emporgetrieben. Der Antisemitismus ist, wie ich sagte, die Steigerung
des der menschlichen Natürlichkeit grundwesentlichen Zustandes und die
Verrücktheit, das Verrücktwerden dessen, was am ehesten verrückt, aus
der Ordnung gerückt werden kann. Die seelische Natur des
Menschengeschlechts ist keineswegs so gesund und fest, wie selbst die
sehr Kranken glauben: wären sie dessen sich bewusst, wie es mit ihnen in
Wahrheit steht, sie würden laufen, ihre Seele heilen zu lassen, wie wenn
sie am Leibe krank sind. Aber wegen der Richtigkeit mit dem Denken ist
es nicht so dringlich; und man liest nirgendwo an den Türen: Nachtglocke
zum Philosophen! Auch selbst an Warnungen vor der Ansteckungsgefahr
durch kranke Seelen, geschweige denn an Vorkehrungen dagegen, fehlt es
gänzlich; wie recht sagt Goethe, dass man sich vor geistigen
Einwirkungen, aus einem gewissen frevelhaften Dünkel, immer sicherer
hält als vor körperlichen. — Aus der allgemeinen Beschaffenheit der
Menschenseele kann und muß der Antisemitismus erklärt und gezeigt
werden, dass und wodurch und zu welchem Ende dabei die Juden die Rolle
der Gelegenheitsursache spielen. Schuld haben die Juden oder die
Antisemiten so wenig wie — die Menschen. Mit "Wer hat Schuld ? — der hat
Schuld!" ist nichts gesagt und nichts getan angesichts einer
Wirklichkeit von so ungeheuer wesentlicher geschichtlicher Bedeutung,
angesichts eines noch immer nicht überflüssig gewordenen historischen
Organs wie die Juden sind, durch welche die Hauptveränderung in der
Menschheit ist bewirkt worden. Die Juden ein immer noch nicht
überflüssig gewordenes Organ — Fata nolentes trahunt!
Nicht Antisemitismus: Judenhass!
Bevor wir nun aber ans Erklären gehen, müssen wir übersetzen. Der
erste Schritt, den Antisemitismus genauer kennen zu lernen, ist, dass
man die dummbarbarische Wortverfertigung Antisemitismus übersetze in das
vorhandene deutsche Wort, wodurch ehrlich und ohne Umschweif die
Krankheit bezeichnet wird: Judenhass.
Judenhass — eine bitterschlimme Krankheit. Denn Judenhass ist
Menschenhass; wenn ich (unrichtig, aber verständlich) so sagen darf:
partieller Menschenhass. Wer Juden hasst, der hasst Menschen; und der
Deutsche, der die deutschen Juden hasst, der hasst gar noch im
besonderen Deutsche. Weg mit dem Wort Antisemitismus. Das klingt ja wie
einer von unsren schlecht gebildeten wissenschaftlichen Terminis und ist
geeignet, schwächere Gemüter zu verwirren. Hier ist eine Sache, die
nichts mit Wissenschaft, alles nur mit dem Affekt zu schaffen hat. Darum
statt Antisemitismus: Judenhass! Da weiß man auf der Stelle. Menschen,
die Menschen hassen, die eine ganze große Gruppe von Menschen hassen,
zeigen sich damit in der Enge des niedrigsten menschlichen Bewusstseins;
die hassen Wahrheit und Liebe. "So jemand spricht, ich liebe Gott, und
hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner." Judenhass, Menschenhass — da
versteht man auf der Stelle, um was für Kranke es zu tun ist, und was
die durch ihre Krankheit eingegebenen Urteile wert sind. Den Hass kennt
man und auch den Judenhass, und so erkennt man ihn auch da, wo er
wissenschaftlich umwunden und verhüllt auftritt, z. B. durch die
Rassentheorie.
Die Rassentheorie ist ja der jüngste Efeu um den Judenhass — man
fühlt denn doch, dass da etwas zu bedecken ist. Judenhass ist Hass und
hat so wenig mit Wissenschaft zu tun wie irgend andrer Hass; den Hass
wollen wir Hass nennen, damit uns der Name auch wirklich auf der Stelle
über die Sache selbst aussage, die Sache aufdecke, nicht sie zudecke. Am
klarsten sind sich über die Natur des Hasses, die sich am klarsten sind
über die Natur des Menschen: die Philosophen. Die weniger klar sind über
die Natur des Hasses oder weniger klar darüber, dass der Judenhass
wirklich andres nicht sei als Hass und alle Merkmale des Hasses an sich
trage, die können auf keinen Fall besseres tun, als den Hass sich
beschreiben zu lassen durch einen Philosophen. Am besten natürlich durch
den besten, durch Spinoza, den einzigen wissenschaftlichen
Seelenzergliederer:
"Haß ist Unlust, verbunden mit der Vorstellung von der äußeren
Ursache dieser Unlust. Der Hassende ist bestrebt, den verhassten
Gegenstand zu entfernen und zu zerstören. Er empfindet Lust, wenn er
sich vorstellt, dass, was er hasst, von Unlust erregt oder zerstört
wird; und wenn er sich vorstellt, dass jemand einen Gegenstand, den er
hasst, mit Lust erregt, so wird er auch gegen ihn von Hass erregt
werden, stellt er sich dagegen vor, dass einer diesen Gegenstand mit
Unlust erregt, so wird er gegen ihn von Liebe erregt werden.
Er ist ferner bestrebt, von dem Gegenstande, den er hasst, alles das zu
bejahen, wovon er sich vorstellt, dass es ihn mit Unlust erregt, und
dagegen alles das zu verneinen, wovon er sich vorstellt, dass es ihn mit
Lust erregt, und wird von dem gehassten Gegenstande eine geringere
Meinung haben als recht ist, so wie er wohl von sich und dem geliebten
Gegenstande eine größere Meinung hat als recht ist (Hochmut und eine Art
Wahnwitz — er betrachtet alle seine Einbildungen als Wirklichkeit und
bläht sich darob). Ferner wird der Hassende, so viel er vermag, danach
streben, dass alle das hassen, was er selber hasst. Alle Affekte des
Hasses aber, Neid, Verhöhnung, Verachtung, Zorn, Rachsucht und die
übrigen Affekte, die sich auf den Hass beziehen, oder aus ihm
entspringen, sind schlecht; alles was wir deshalb begehren, weil wir von
Hass erregt sind, ist unehrbar und im Staate ungerecht."
In diesen Worten besitzen wir die klassische Beschreibung des Hasses im
allgemeinen — mit demselben Hasse werden die Juden von den Judenhassern
gehasst, mit keinem andren auch von den Antisemiten. Dazu noch die
folgenden Sätze, bei denen Spinoza ohne Zweifel auch an den Judenhass im
besonderen gedacht hat: "Wenn jemand von einem Angehörigen eines andern
Standes oder Volkes mit Unlust erregt worden ist, verbunden mit der
Vorstellung desselben unter dem allgemeinen Namen seines Standes oder
Volkes als der Ursache, so wird er nicht nur ihn, sondern alle
Angehörigen seines Standes oder Volkes hassen; durch die Ähnlichkeit mit
dem Gegenstande, welcher den Affekt des Hasses erregt hatte, wird dieser
von neuem erregt werden."
So, wir sind aus der Türe und haben damit schon ein Stück Weges hinter
uns. Das Hauptziel, das Verständnis des Judenhasses würde bald erreicht
sein, wenn der Weg frei wäre. Das ist er nicht; es sind Hindernisse von
Steinen und Felsblöcken hinwegzuräumen. Des einen sind wir bereits
ansichtig geworden: der Rassentheorie.
Machen wir uns gleich an die Arbeit gegen das Ungetüm. Unsere Aufgabe
fällt zusammen mit dem Interesse der Wissenschaft, mit der Liebe zum
Vaterlande, mit der Pflicht gegenüber unserem deutschen Vaterlande.
p. 97 C. Brunner / Ed. 1919
Vom Phantom zur Psychopathologie:
Der Judenhass und die Juden
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viel bereits zu diesem
Thema gesagt und geschrieben, geforscht und gedacht wurde, und wie
resistent sich das Leiden gehalten hat. Gemeint ist der Antisemitismus,
der besser als Judenhass bezeichnet werden sollte, wie es C. Brunner
sehr überzeugend anmahnt...
Es kann immer noch schlimmer werden:
Das Leiden am Judenhass
Brunner nahm die deutschen Nicht-Juden vor der Behauptung
der Antisemiten in Schutz, dass ein einziger Jude neunundneunzig
Nicht-Juden in der Hand habe. Eine solche Aussage sei doch wohl nicht
nur eine eigentümliche Überschätzung der Juden sonder auch eine
ungeheuerliche Beleidigung der Nicht-Juden...
Constantin Brunner:
Leiden an Deutschlands Unglück
Wie liebe ich mein Deutschland in seiner düstern Schmach und in
seiner lichtbeseelten Wundergröße! Ich liebe Deutschland, Deutschland
über alles...
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