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An Euch Christen:
Die Rede der Juden

Schon als Kind kam der 1862 geborene Constantin Brunner, Enkel des Oberlandesrabbiners von Altona und Schleswig-Holstein, Akiba Wertheimer, mit religiösem und philosophischem Gedankengut in Kontakt. In Köln begann er ein Studium am jüdischen Lehrerseminar. Dieses Studium brach er jedoch 1883 auf der Suche nach "der besten Religion" ab, wandte sich den vergleichenden Religionswissenschaften zu und studierte Philosophie und Geschichte.

Bald wurden Judenhass und Antisemitismus, wie sie ihm während des Studiums begegneten, zu seiner zentralen Beschäftigung. Sein erstes Werk, die "Rede der Juden" schrieb er um 1892, erstveröffentlicht wurde es erst 1918, worin er sich mit Antisemitismus, Religionsgeschichte, der Möglichkeit einer jüdischen Emanzipation in Deutschland und mit philosophischen Fragen beschäftigt.

Die Befreiung vom Judenhass erhoffte er sich damals in erster Linie durch die Juden. Die Zurückverbindung der aus dem Judentum kommenden Lehre des Jesus aus Nazrath müsse die unterdrückenden Komponenten der Religionen überwinden. Brunner forderte ein Einbringen des Propheten Jesus in die deutsche Gesellschaft gerade durch die Juden. Dies würde, so Brunner, zur gesellschaftlichen Emanzipation der Juden und der Nicht-Juden beitragen. Der christliche Judenhass, der sich immer wieder von neuem an der Behauptung "die Juden haben den Christus ermordet" entzündet hatte, wäre dann obsolet. Befreit von den Irrtümern aus Religion und Judenhass könnten Deutsche jüdischer und anderer Herkunft gemeinsam, mit der geistigen Kraft Christus, eine lebendige Kultur verwirklichen.

Brunner gab diesem Ansatz gute Aussichten auf Erfolg, denn wie er auf Seite 435 schreibt: "Mächtiger heute unser Protest als je vordem. Heute protestiert nicht mehr das Judentum ohne Christus, sondern das Judentum mit Christus"... Den Juden "kommt zu, dass wir sagen, wir allein sind Christen, sobald wir wollen — und sind es wohl auch durch das, was wir nicht wollten und nicht wollen: durch unsre Entsagungen, durch unsre Passionsgeschichte und via dolorosa! — wir sind Christen, sobald wir dieser Lehre Jesu und der Apostel ihre echt jüdische Auslegung geben und ihre Stellung einräumen".

Besonders bedeutungsvoll wurde ihm schließlich die Philosophie Spinozas an der er die "wahre und aktive" Philosophie und deren Umsetzbarkeit ins praktische Leben schätzte. In Spinoza sah er ebenso wie in Moses und Jesus, aber auch in Sokrates und Buddha, Menschen, die er als Genies bzw. als "Geistige" bezeichnet, da sie Leben und Werk vereinen. Seiner Meinung nach vermittelten sie alle die eine, immerwährende und überall gleiche absolute, geistige Wahrheit.

Sein Verhältnis zu dieser Rede erläuterte er in "Der Judenhass und die Juden" noch einmal ausführlich. Dort ging er auch auf seine Bewunderung Spinozas ein, den er mit Moses und Jesus verglich, doch Spinoza sei größer. (siehe dort p.420 ff).

Die "REDE DER JUDEN: WIR WOLLEN IHN ZURÜCK!" ist 1892/3 entstanden, wurde jedoch nicht veröffentlicht, bis sie 1918 leicht verändert, als 8.Kapitel (p.428ff), Aufnahme in "Der Judenhass und die Juden" fand. Neuveröffentlicht dort Stuttgart 1969.

Ähnliche Schriften Brunners sind u.a.:
Die Lehre von den Geistigen und vom Volk (1908, 1927) Stuttgart 1962,
Unser Christus oder das Wesen des Genies (1921) Köln-Berlin 1958,
Höre Israel und Höre Nicht-Israel (1931) Den Haag 1974...

Rede der Juden:
Wir wollen ihn zurück!

Ihr Christen!

Nach Verübung jahrhundertelanger Verfolgungen und Bedrückungen fangt ihr nun an, uns Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ihr fangt damit an ---- unmöglich, dass auf einen Schlag werden könnte, was da alles werden muss. Ein plötzlicher Wandel solcher Art widerstreitet der menschlichen Natur, die nicht anders als allmählich, mit Rückfällen, von schlimmer Gewöhnung und von Vorurteilen zu lassen vermag.

Vieles bleibt zu tun von euch und auch von uns; und wir müssen uns nun einer am andern emporheben. Was uns betrifft, so muss ein Allerwichtigstes durch uns geschehen. Bevor wir aber davon untereinander reden, wollen wir erst einmal mit euch darüber reden — im Zusammenhang mit andrem. Dieses Allerwichtigste geht auch euch sehr an.

Das andre, wovon wir vor allem mit euch zu reden haben und was wir euch vorstellen wollen, ist dieses. Nachdem durch die langen Jahrhunderte hindurch zu all dem Schlimmen, was man an uns tat, so viel Schlimmes über uns gesagt worden, dass auch heute immer noch unser Ruf unter den Völkern der schlechteste ist und keinem noch so vorurteilslosen Nicht-Juden das Wort, die Schallvorstellung "Jude" durch das Bewusstsein geht ohne die Erinnerung an die üble Nachrede — das ist eine unzertrennliche Assoziation, die noch lange so fortlaufen wird in den seit langer Zeit ausgetieften Geleisen: so müsst ihr nun auch das Gute bedenken, welches wir euch geleistet haben, damit den immer noch gegen uns gerichteten Anfeindungen das Gleichgewicht zu halten und ihnen zu wehren. Dieses Gute ist von großer und von größter Art, das gesteht ihr selber zu; nur gesteht ihr nicht, dass es von uns herrührt. Ihr seid bisher der Anerkennung dieser Tatsache, obwohl sie am hellen Tage vor aller Augen daliegt, ausgewichen und habt es gegen uns gehalten auf eine Art, die beispiellos dasteht in der Menschengeschichte; ja, das Gelingen des euch Gelungenen lässt sich nicht begreifen, und die Zeit dürfte kommen, wo es vielen unbegreiflich erscheint und wie ein Wunder. Genug, es ist tatsächlich gelungen; und wir blieben bis heute machtlos dagegen. Der Gang der geschichtlichen Entwicklung war für uns auf unbezwingliche Art unterbrochen, und wir galten die Niedrigsten und Schlechtesten.

Wir Schlechtesten, gut genug, dass von uns ihr nahmt, was euer Bestes ist; und wegen dieses Besten, wegen unsres Besten, wegen des Heiles, das euch von uns kam, kam uns von euch alles Unheil. Ja, so ist es gewesen und nicht anders: wir waren die Wirte, und ihr wart die Gäste, wir hatten die Türen allen geöffnet — aber ihr wart solche Gäste, dass ihr vom vornehmsten Gerichte uns nicht abgeben wolltet, uns deswegen misshandelt habt und hinausgedrängt. Und die grobfädige Entstellung der Wahrheit, die von euch geschlungen ward, ist derartig eingegangen in die Gemüter, dass nicht allein manche unter euch noch fortfahren, uns deswegen zu bekämpfen, zu erniedrigen und unter ihrem eignen Werte zu halten, sondern dass auch unter euren vortrefflichsten Männern bis auf den heutigen Tag kein Gewissen darüber rege ward; gar aber unter uns selber sind die meisten, sind beinah alle zum Affen gemacht und unrichtig geworden und haben gegen ihr Aliereigenstes, Höchstes und Beglückendstes sich vermauert. Nur ganz wenige, denen Bewusstsein aufdämmert von dem Ungeheuerlichen, was uns mit dieser Sache getan ward; da es doch weit über alle Vergewaltigung geht, die wir an dem äußerlichen Leben der Freiheit und der Ehre erfuhren. Ja, das alles erscheint wie ein hässliches Wunder, und ist doch gar keines für den, der Leben und Geschichte kennt und weiß, dass die Menschengeschichte ist wie die Menschheit: die weder Böses noch Gutes lassen kann und Unvernunft gerade so verwirklicht wie Vernunft. Dieses aber, wovon wir nun deutlich und im einzelnen reden wollen, ist das Meisterstück der Unvernunft und Tollheit in der Menschengeschichte, und bös genug obendrein.

Ihr Christen, um jüdischer Männer willen ist es, dass ihr euch Christen nennt! Euer Christentum ist Judentum, und von den Zeiten her, wo noch ganz Europa in seinem sogenannten Christentum das wahre Judentum zu besitzen glaubte, ist der Hass herabgeerbt auf uns — auf uns Juden um unsres Judentums willen! Vor langer Zeit war es, dass wir euch erlagen, der Schwache dem Starken, und sind doch niemals ganz erlegen, haben — zu Boden gestoßen, sprachlos — auch mit unsrem Schweigen protestiert; und jetzt, sobald uns der Atem wieder kommt, reden wir. Was ist gewesen in diesen zweitausend Jahren? — ein Traum, ein Rauch, ein Märchen ist verflogen; und wie, wenn wir nun Einspruch erheben gegen euer Christentum als gegen einen Missbrauch, den ihr mit unsrem Judentume treibt? Wenn wir protestieren gegen die Art, wie ihr mit Christus umspringt und euch zurufen: Aut nomen aut vitam mutate! Ihr müsst euren Namen ändern oder euer Leben!

Ihr nennt euch Christen, weil ihr behauptet, Christus nachzufolgen. Wenn dies euch zu Christen machen soll — und was könnte es sonst? — so seid ihr, wie ihr seid, keine Christen. Christus war ein Jude; und der letzte Jude dürfte eher ein Christ sein, als ihr welche seid, und hört: wenn Christus heute in unsre Welt zurückkehren könnte, das Christentum müsste ihn verleugnen; das wäre das Ende des Christentums. Wie mögt ihr bei eurer Behauptung bleiben, dass ihr Nachahmer Christi seid und seinen jüdischen Glauben teilt? So antwortet denn, ihr vorerst — zu den andern reden wir nachher! — ihr, die ihr euch fromme Christen nennt und wahrhafte Israeliter, antwortet denn: Seid und tut und glaubt ihr wirklich wie Christus war und tat und glaubte und wie die Israeliter? Wir wollen nur von dem Äußerlichen reden, was von einem jeglichen befolgt werden kann, und worauf Christus gehalten hat. Antwortet uns denn: Seid ihr so fromme Juden wie Christus einer gewesen? der mehr Jude sein wollte als die Juden um ihn herum? der nicht dulden will, dass vom Gesetze Mosis auch nur ein Titelchen unerfüllt bleibe? Kein Jod soll zergehen — Jod ist der kleinste Buchstabe des hebräischen Alphabets — und kein Zäcklein an einem Buchstaben! "Auf Mosis Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer: Alles nun, was sie euch sagen, dass ihr halten sollet, das haltet und tut; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun. Sie sagen's wohl und tun's nicht." Lasst ihr euch auch beschneiden, wie Christus beschnitten war? Lebt und webt ihr im rabbinisch-talmudischen Geiste gleich Christus?, der in allem Äußerlichen der Sitte und Weise der Rabbinen folgte: z. B. zu lehren begann erst im dreißigsten Lebensjahr (vorher durfte kein Rabbi sein Lehramt antreten)* wie Ev. Joh. 19,23 bezeugt, das pallium clausum der Rabbinen trug, eine Tunika, woran keine Naht zu sehen war und nur mit Öffnungen, um Kopf und Arme hindurchzustecken. Er redete auch im Ton und Stil der Rabbinen, in unverblümter Lehre wie in Gleichnissen; und das meiste, was er lehrte, war rabbinisches Allgemeingut —unsre Ausgaben der Evangelien sind noch unvollkommen: es finden sich darin nur seine Zitate aus den Büchern des Alten Testaments vermerkt, noch nicht die weit zahlreicheren von den Rabbinen hergenommen, die sich doch so leicht aus der Mischnah, aus der Gemarah und aus den Midraschim nachtragen ließen.**

*) der gewöhnlichen Annahme entgegen, die sich hauptsächlich auf Luk. 3, 23 stützt, behauptet Irenäus (adv. haer. II, 39), Christus habe nicht vor dem vierzigsten Jahre zu lehren begonnen und, mit Berufung auf Ev. Joh. 8, 57, er sei bei seinem Tode nicht weit von fünfzig Jahren gewesen.

**) Eine große Anzahl schon findet man bei F. Nork, "Rabbinische Quellen und Parallelen zu neutestamentlichen Schriftstellen". Leipzig 1839. Dazu Meuschenii Novum Testamentum ex Talmude et antiquitatibus Hebraeorum illustratum. Lips. 1736. Vgl. auch Weiß, Zur Geschichte der jüd. Tradition 1871 und Duschak, Die Moral der Evangelien und des Talmud, Brünn 1877.

Christus hielt nicht etwa, gleich den aristokratisch konservativen Sadduzäern, nur am geschriebenen Gesetz, war keineswegs Skripturarier: trotz seinem Kampf gegen den gelehrten Hochmut ihrer Borniertheit und ihren Überwitz, gegen ihre Seelenlosigkeit, ihr werkheiliges Wesen und ihren Bigottesdienst bildete für ihn genau so wie für die pharisäischen Schriftgelehrten die rabbinische Halacha und Haggada (Halacha: das Rechtliche des damals noch mündlichen Gesetzes, Haggada / Agadah: das Geschichtlich-Ethisch-Phantasiemäßige) mitsamt der Thora und den Propheten die Eine Lehre, das Eine Gesetz, das Gesetz Mosis — die Halachoth und Haggadoth bedeuteten für die Traditionarier keineswegs neue Dinge, sondern waren Auslegung und Ausbau der halachischen und haggadischen Elemente in der Bibel, die eben deswegen mündlich blieben und schriftlich nicht niedergelegt zu werden brauchten, weil sie ja in der Schrift enthalten seien! — Christus lehrte, gleich vielen der hohen Lehrer vor seiner Zeit (Hillel 60 Jahre vor ihm geboren) und in seiner Zeit — er freilich, was er gelernt hatte und was sich nicht lernen ließ, alles in der tiefsten Herzenserfassung und wie kein andrer Rabbi aus der Einheit der Gedanken.

Es war damals eine große, die größte Zeit unter den Juden. Alles drängte hin auf Zusammenfassung des Vorhandenen; die Stunde war nahe gekommen, wo eine kleine und ohnmächtige Nation in ihrem Untergange die weltbesiegende Kraft eines beispiellos verinnerlichten Lebens offenbaren, wo Juda die gesellschaftliche Umwandlung ins Werk setzen sollte. Bedeutende Männer schufen in dieser geistig hoch erregten Zeit, in der aura seminalis dieser Zeit, Einzelheiten von hoher Vortrefflichkeit: Christus, der unvergleichlich mächtigste unter ihnen, gegründet auf das Ganze des jüdischen Geistes, vollbringt die überwältigend originale Schöpfung, wodurch erst jene Hauptveränderung in der Menschheit möglich wird, aus lauter nicht originalen Bestandteilen und als der Prophet der Propheten. Christentum ist Prophetentum, ist das Judentum des Prophetismus. — Wir fragen weiter, ihr Christen: glaubt ihr, dass Jesus der national-jüdische Maschiach gewesen sei, so wie er von sich geglaubt hat? Denn dass er sich wirklich für den Sündenerlöser der Menschheit gehalten habe, ist so wenig zu erweisen, wie er es in der Wirklichkeit nicht gewesen; und hätte man ihm vom Christentum oder vielmehr von den vielen Christentümern als von seiner "Gründung" gesprochen, von den orthodoxen und nun gar erst von den liberalen! und von all dem, was in seinem Namen gesagt werden sollte, und von den Aus- und Einlegungen seiner Worte, so wäre er wohl aus anderen Gründen gestorben — vielleicht vor Lachen; wie  w i r  ihn kennen, konnte er gewaltig lachen! — und wäre dann nicht nötig gewesen, ihn ans Kreuz zu schlagen. Antwortet weiter, ihr Christen: denkt ihr etwa über den Eid, denkt ihr auch über den Krieg, wie Christus darüber gedacht hat? ... ...
... weiter... p.432 ff. ...

Weiteres von und über Constantin Brunner:

Vom Phantom zur Psychopathologie:
Der Judenhass und die Juden
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viel bereits zu diesem Thema gesagt und geschrieben, geforscht und gedacht wurde, und wie resistent sich das Leiden gehalten hat. Gemeint ist der Antisemitismus, der besser als Judenhass bezeichnet werden sollte, wie es C. Brunner sehr überzeugend anmahnt...

Es kann immer noch schlimmer werden:
Das Leiden am Judenhass
Brunner nahm die deutschen Nicht-Juden vor der Behauptung der Antisemiten in Schutz, dass ein einziger Jude neunundneunzig Nicht-Juden in der Hand habe. Eine solche Aussage sei doch wohl nicht nur eine eigentümliche Überschätzung der Juden sonder auch eine ungeheuerliche Beleidigung der Nicht-Juden...

Was tun?
Über das Unglück der Antisemiten

Kern dieser Überlegungen ist C. Brunners Frage, wie man an die "Antisemitenfrage" - in Analogie zur vielfach postulierten "Judenfrage" - herangehen soll, oder noch präziser: "Wie und wie weit lässt sich den bejammernswerten Leuten helfen, die an den Juden verrückt geworden sind, und auf welche Art können in Zukunft andre vor dem gleichen Unglückslose bewahrt werden?"...

Constantin Brunner:

Leiden an Deutschlands Unglück
Wie liebe ich mein Deutschland in seiner düstern Schmach und in seiner lichtbeseelten Wundergröße! Ich liebe Deutschland, Deutschland über alles...

dg - hagalil.com November 2007