Constantin Brunner:
Leiden an Deutschlands UnglückHätten
die jüdischen Deutschen mehr Macht in Deutschland gehabt, oder auch nur
einen Bruchteil des ihnen von den Judenhassern unterstellten Einflusses,
hätten sie es sicher nicht zugelassen, dass dieses Deutschland in die
Hand einer skrupellosen und abgrundtief verwahrlosten Bande gefallen
wäre. Ihr Patriotismus hätte dies niemals zugelassen, sie haben
Deutschland viel zu sehr geliebt. Dies machen auch diese Beispiel aus C.
Brunners Buch "Der Judenhass und die Juden"
deutlich...
Die
erste Auflage des Buches "Der Judenhass und die Juden" erschien 1916,
noch während des Ersten Weltkriegs.
Unter dem Krieg
In einem Aufsatz schrieb Brunner im November 1916:
... Europas Männerblüte der Zerstörung preisgegeben; ein Morden auf,
über, unter der Erde und auf, über, unter dem Wasser; Krieg gegen
die Staaten, gegen die Völker, gegen die Volkswirtschaften; Krieg
gegen Kämpfer und gegen Nichtkämpfer; und wie schmeckt die Luft nach
Leid! Auf eine ungeheure Art dichtet die Zeit Schicksal und
Geschichte: was soll ein neues Buch ?! Die da draußen, Sommer und
Winter, Tag und Nacht auf den Feldern, in w e 1 c h e n
Kämpfen, Nöten, Folterqualen! ...
... nichts brennt in den Herzen als Vaterland und Krieg, — dieser
Krieg, für den ein andrer Name als Krieg, ein gänzlich neues,
fürchterliches Wort nötig wäre, seine zyklopische Art und
Grässlichkeit zu bezeichnen; aller Krieg war Friede gegen diesen.
Wir können ihn nicht ansehen, weder wie der Teufel, noch wie der
Gott: nur wie Menschen, die ihn miterleben. ...
... nein, dieser Krieg ist noch andres als nur ein politischer
Krieg, und was für Großes wir dabei übrigens erleben: wir erleben
auch das Scheußlichste der ganzen Menschengeschichte; wie scheintot
im Sarge liegt in uns der Geist, vernimmt alles und kann sich nicht
bewegen und nicht die Zunge gebrauchen. Wieder und wieder, jeden
Augenblick müssen wir uns verwahrheiten, müssen wir uns
vordramatisieren das grauenvolle Geschehen in dem Blutsumpfe. Wann
kommt das Ende und wie ? Durch die Waffen ? oder, wenn der Wahnwitz
nicht weiter kann, wird man sagen: durch die Vernunft! Aber einmal
kommt das Ende und der Frieden....
... Deutschland ist stark geworden und stark geblieben, stark und
schön. Auch seiner Schönheit halben hat's keine Not. Läßt der
Wundervogel sich wieder herunter in die Ruhe, so wird auf dem
zusammengelegten Gefieder auch all seine Pracht der Farben wieder
hervorkommen. Zuversicht und Glück über unser deutsches Vaterland
erhebt uns das Herz auch in diesem Kampf und allerrasendsten
Wirbelsturm, bei aller Schwere der Gedanken um die Menschheit, bei
allem für das ganze Leben uns allen gebliebenen Leid und Weh ....
... ... ... Ja, das ist lange her, daß ich diese Sätze schrieb,
unsäglich lange; denn wir sind seitdem unglücklich geworden und in
die große Schande geraten. Aber natürlich lasse ich diese Sätze
stehen. Ich will mich nicht nachträglich klüger machen, als ich war;
nicht klüger, als Deutschland war. Ich bin damals berechtigt gewesen
diese Sätze zu schreiben: sie wurden geschrieben nach dem Durchbruch
bei Gorlice; an die Möglichkeit, dass wir solche Politik treiben
würden, die uns zu Fall bringen musste, konnte ich so wenig denken
wie an Selbstmord. Man lese das weiterhin „Unter dem Frieden"
Gesagte. Daß ich mit dem Aufstieg Deutschlands auch durch diesen
Krieg nicht etwa Eroberungen meinte, wird mir jeder glauben, der
auch nur das nachstehende Werk liest: was ich darunter verstand,
ließ mir, es deutlicher zu sagen, die Zensur nicht zu...
Potsdam, September 1917
Constantin Brunner
Die zweite Auflage erschien nach dem verlorenen Krieg, im Juli 1919.
Unter dem Frieden
Ja zu Deutschlands Freiheit! Es wird wieder ein wahrhaftes
Bewußtsein und wieder eine Gewißheit unsrer Selbst sein, dann wird
Deutschlandsliebe und Deutschlandsleidenschaft unsre Herrlichkeit
wieder aufrichten aus der Störung in das schönere Leben: die
Herrlichkeit des einigen, des vieleinigen deutschen Reiches mit dem
in allen seinen Verschiedenheiten einträchtigen deutschen
Volksgeist, edel verharrend in sich selber, würdig hervortretend
nach außen.
Meine Augen werden den Glanz des Feuers nicht mehr sehen, und ich
kann nicht von den Funken sein, die den Brand entfachen. Ich muß
dich lieben in deiner Schmach und Trauer, mein Deutschland. Du wirst
sehr traurig sein, mein Deutschland. Du wirst nicht klagen, du wirst
dir aber auch kein Lachen bereiten. Viele in dir werden auch lachen
und fröhlich sein; denn viele sind fröhlich, wenn sie zu essen und
zu trinken und zu lieben haben — „heute leben wir!" —und denken
nicht an dich.
Du, mein Deutschland, zürnst auch diesen nicht; denn du denkst an
sie alle und an den Tag des Heilfeuers, wo sie alle an dich denken.
Laß sie vergessen und lachen, bis sie denken werden. Du vergißt
nicht, du denkst, du bleibst nun das Deutschland in der Welt, hart,
so steinern und weiß dein edles Angesicht und schaurig unbewegbar,
entschlossen zu deiner Freiheit; du wirst Blut sammeln fortan, um es
alles wieder zu vergießen für deine Freiheit.
Wie liebe ich mein Deutschland in seiner düstern Schmach und in
seiner lichtbeseelten Wundergröße!
Ich liebe Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der
Welt.
Was ich noch mehr liebe, das ist nicht Welt.
Potsdam, Juli 1919
Constantin Brunner
Vom Phantom zur Psychopathologie:
Der Judenhass und die Juden
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viel bereits zu diesem
Thema gesagt und geschrieben, geforscht und gedacht wurde, und wie
resistent sich das Leiden gehalten hat. Gemeint ist der Antisemitismus,
der besser als Judenhass bezeichnet werden sollte, wie es C. Brunner
sehr überzeugend anmahnt...
Es kann immer noch schlimmer werden:
Das Leiden am Judenhass
Brunner nahm die deutschen Nicht-Juden vor der Behauptung
der Antisemiten in Schutz, dass ein einziger Jude neunundneunzig
Nicht-Juden in der Hand habe. Eine solche Aussage sei doch wohl nicht
nur eine eigentümliche Überschätzung der Juden sonder auch eine
ungeheuerliche Beleidigung der Nicht-Juden...
Was tun?
Über das
Unglück der Antisemiten
Kern dieser Überlegungen ist C. Brunners Frage, wie man an die
"Antisemitenfrage" - in Analogie zur vielfach postulierten "Judenfrage"
- herangehen soll, oder noch präziser: "Wie und wie weit lässt sich den
bejammernswerten Leuten helfen, die an den Juden verrückt geworden sind,
und auf welche Art können in Zukunft andre vor dem gleichen Unglückslose
bewahrt werden?"...
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