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Vom Phantom zur Psychopathologie:
Der Judenhass und die Juden

David Gall

Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie viel bereits zu diesem Thema gesagt und geschrieben, geforscht und gedacht wurde, und wie resistent sich das Leiden gehalten hat. Gemeint ist der Antisemitismus, der besser als Judenhass bezeichnet werden sollte, wie es C. Brunner sehr überzeugend anmahnt.

Immer wieder scheint dieser Wahn sich erneut und in ganz unterschiedlichen Gesellschaften zu manifestieren. War nach der Aufklärung Russland Hort des Judenhasses, machte sich nach dem ersten Weltkrieg Deutschland führend, und nirgendwo waren die Folgen verheerender. Doch auch nachdem dieser Hass das schrecklichsten Verbrechen, das Menschen an Menschen je verübt haben, hervorgebracht hat, taucht der Ungeist wieder auf.

Diesmal hat der Wahn sogar die bisher weniger betroffene arabische Welt angefallen, und fast könnte man lachen, wenn man erneut die Mär von der Weltverschwörung hört, und gelesen hat, was C. Brunner schon 1919 dazu gesagt hat. Doch zum Lachen ist es nicht. Es ist viel zu unglaublich und traurig und eigentlich kann man nur verzweifeln, wenn man sieht, dass schon wieder - auch in Russland und auch in Deutschland - das ewig nachgeplapperte und unendlich dumme Gift seine Wirkung entfaltet.

An das letzte Interview mit Horst Mahler (vanity fair) oder gar die Vernichtungsfantasien des iranischen Diktators Achmadinedjad sei hier nur am Rande erinnert. Die laufende Berichterstattung unter haGalil.com bringt zum Judenhass täglich aktuelle Meldungen.

C. Brunner sprach in Anlehnung an die immer wieder gerne thematisierte "Judenfrage" gerne von der "Antisemitenfrage" und versuchte damit deutlich zu machen, dass nicht die Juden, sondern die Antisemiten das Problem Deutschlands, ja der gesamten nach Zivilisation strebenden Welt seien.

In Deutschland, so Brunner 1919, könne es eigentlich gar keine Judenfrage geben, da es hier, im Gegensatz zu Russland, keine Juden gäbe, sondern höchstens Deutsche jüdischer Abstammung und / oder jüdischen Glaubens.

Um einen Einblick in das erstaunliche Weltbild der trotzdem vorhandenen Antisemiten in Deutschland zu gewähren, beschrieb er deren Wehen, Klagen und Sorgen, wie folgt:

"Wie können wir, die Minderheit der Deutschen, der wahrhaft deutschen Deutschen, wie können wir Befreiung finden aus dem Ghetto ? Denn wir leben im Ghetto. Früher lebten die Juden im Judenghetto, abgesperrt durch die Deutschen: sie wurden herausgelassen, und seitdem hat sich's immer unglücklicher gewendet, bis nun tatsächlich wir Deutsche im Deutschenghetto leben, abgesperrt durch die Juden. Deutschland ist Judenland geworden. Die bei weitem größte Mehrheit der Deutschen, in denen nicht, wie in uns, das Bewusstsein der Deutschheit so echt und treu lebendig geblieben, sind in die Hände der Juden überantwortet und selber verjudet bereits. Die Juden — vaterlandslose Betrüger, Verführer, Verderber — übervorteilen die Deutschen auf alle schlimmste Art, bringen sie um ihren Besitz, um ihr Glück, um ihren Frieden, reden ihnen eine Philosophie, eine Kunst und Literatur auf, die ihrem, der Deutschen Empfinden nicht entsprechen und es verfälschen, treiben ihre ganze Denkweise in ein der deutschen Seele fremdes und schadhaftes Wesen. Die Juden wollen mit der Hölle den Himmel verbrennen. Sie sind geschworene Feinde der ganzen Menschheit und wollen die Weltherrschaft an sich reißen; doch haben sie es besonders auf uns Deutsche abgesehen, die von ihnen am grimmigsten gehasst werden. All unser soziales und auch alles politische Unglück, das heutige wie das frühere, haben allein die Juden über uns gebracht. Sie wollen uns alles, alles umreißen, uns zu Sklaven machen, uns vernichten, unsern Staat zerstören; wir kämpfen gegen sie den letzten Verzweiflungskampf."

Für Brunner waren diese 1919 formulierten Vorstellungen der Antisemiten ein so unrealistisches und unglaubliches Gerede, dass es für ihn klar war, dass von den - damals - 65 Millionen Deutschen niemand - außer eben den Antisemiten - in solcher Weise über die - damals - 650.000 in Deutschland lebenden Juden reden könnte.

Wie würde er sich wohl wundern, wenn er heute hören würde, wie Antisemiten über die hier unter einer Bevölkerung von inzwischen 85 Millionen Deutschen lebenden nur noch ca. 140.000 Juden reden. Auch heute ist die Rede vom Streben nach der Weltherrschaft, von angeblichen Geheimprotokollen der Zionisten, vom ZOG, dem zionistisch okkupierten Government und viele weitere Vorstellungen dieser Art, die dem regelmäßigen Leser von haGalil, einem Medium das es sich nach Vorstellung der Antisemiten zur Aufgabe gemacht hat "die Meinungskontrolle in Deutschland" durchzusetzen*, längst bekannt sein dürften.

*) Bieberstein, ik hör' dir trapsen... hagalil.com/archiv/2007/10/bieberstein.htm

Doch lassen wir wieder C. Brunner zu Wort kommen und fortfahren in seiner Betrachtung:

Sehr, sehr viele Deutsche auch nicht jüdischer Abstammung meinen den wahren Sachverhalt auf ganz andre Weise als die Antisemiten verstehen zu können: dass nämlich nicht das eine Prozent der Bevölkerung Deutschlands (die Juden) die andern neunundneunzig Prozent beherrscht, dass aber vielmehr die Antisemiten, mit ihrem schweren Hauptärgernis an den Juden, von diesen beherrscht sich zeigen, von ihnen geradezu besessen sind.

Und wie um sich dafür zu rechtfertigen, dass er sich überhaupt daran macht ein Buch über den Judenhass zu schreiben, erklärt er erst, dass ihm das Thema eigentlich zuwider ist, dass er eigentlich lieber mit anderem sich befassen würde. Dass es dazu schon so viele Bücher gibt, da schon so viele sich wohlwollend des Themas annahmen, dass aber gut gemeint nicht immer gut getan sei - und deshalb...

Deshalb habe er doch geschrieben was zu schreiben war, auch wenn sicherlich die allermeisten Menschen in Deutschland von diesem Hass eher abgestoßen seien, Nicht-Juden ebenso wie auch die Juden.

Erster Teil
Es kann immer noch schlimmer werden: Das Leiden am Judenhass
Brunner nahm die deutschen Nicht-Juden vor der Behauptung der Antisemiten in Schutz, dass ein einziger Jude neunundneunzig Nicht-Juden in der Hand habe. Eine solche Aussage sei doch wohl nicht nur eine eigentümliche Überschätzung der Juden sonder auch eine ungeheuerliche Beleidigung der Nicht-Juden...


Und so kam er dann wohl in Fahrt, immer wieder unterbrochen vom patriotischen Sorgen um sein geliebtes Vaterland - Deutschland.
Constantin Brunner: Leiden an Deutschlands Unglück
Wie liebe ich mein Deutschland in seiner düstern Schmach und in seiner lichtbeseelten Wundergröße! Ich liebe Deutschland, Deutschland über alles...


In einem weiteren hier wiedergegeben Teil widmet er sich dann aber anschaulich der Krankheit, der Psychopathia antisemitica, und dem Leiden der Kranken, dem Unglück der Antisemiten.

Zweiter Teil
Was tun?
Über das Unglück der Antisemiten
Kern dieser Überlegungen ist C. Brunners Frage, wie man an die "Antisemitenfrage" - in Analogie zur vielfach postulierten "Judenfrage" - herangehen soll, oder noch präziser: "Wie und wie weit lässt sich den bejammernswerten Leuten helfen, die an den Juden verrückt geworden sind, und auf welche Art können in Zukunft andre vor dem gleichen Unglückslose bewahrt werden?"...

Im 8.Kapitel von Brunners "Der Judenhass und die Juden" fand auch die bereits 1892/93 geschriebene "Rede der Juden an die Christen: Wir wollen ihn zurück!" Eingang und wurde hier erstmals veröffentlicht.
Wir bringen zur "Rede" noch eine Einleitung: Teil 1 und Teil 2.

dg - hagalil.com November 2007