[Judenhass von heute]
I. Kapitel: Antisemitismus nach dem Weltkrieg
Auszüge aus dem 1935 im Paneuropa-Verlag in Wien und Zürich
erschienenen Buch von
R.N. Coudenhove-Kalergi. Wenn hier vom
Weltkrieg die Rede ist, ist also der I. Weltkrieg gemeint.
7. Teil:
Neuheidnischer Antisemitismus
Der christliche Antisemitismus fordert Assimilation: allmähliche
Bekehrung aller Juden zum Christentum. Der Rassenantisemitismus lehnt
die Assimilation ab: denn er will die Trennung zwischen Juden und
Nicht-Juden nicht verwischen, sondern verstärken.
Darum kritisiert er die Möglichkeit der Judentaufe und versucht die
getauften Juden und ihre Nachkommen in die jüdische Gemeinschaft
zurückzustoßen. Und darum ist ihm die jüdische Religion eine willkommene
Scheidewand zwischen Juden und Nicht-Juden.
Diese Einstellung erklärt die relative Toleranz des Nationalsozialismus
gegen die jüdische Religion. Denn der moderne Rassenantisemitismus
wendet sich mehr gegen die jüdischen Warenhäuser als gegen die jüdischen
Bethäuser; mehr gegen jüdische Journalisten als gegen Rabbiner; mehr
gegen den jüdischen Liberalismus als gegen die jüdische Orthodoxie; mehr
gegen die Assimilanten als gegen die Zionisten. Mit einem Wort: gegen
die Juden als Blutgemeinschaft, nicht als Religionsgemeinschaft.
Die überwiegende Mehrheit der Rassenantisemiten vertritt den Standpunkt,
dass ihr Antisemitismus mit Religion nicht das geringste zu tun hat und
dass sie sich daher in die religiöse Auseinandersetzung zwischen Juden
und Christen nicht einmischen.
Dennoch führt der Rassenantisemitismus in seiner Konsequenz zu
religiösen Problemen: freilich in ganz anderem Sinne als der christliche
Antisemitismus. Denn während dieser in dauerndem Gegensatz zur jüdischen
Religion steht, gerät der Rassenantisemitismus zwangsläufig in Gegensatz
zum Christentum, während er sich um den jüdischen Glauben nicht kümmert.
Dieser Konflikt entsteht dadurch, dass der Rassenantisemitismus es als
sein Ziel betrachtet, die arische Menschheit von jüdischen Einflüssen zu
befreien. Denn nach seiner Auffassung sind arischer und jüdischer Geist
polare Gegensätze: wo sich beide begegnen, zersetzt der jüdische Geist
den arischen. Darum ist die Zukunft der germanischen Kultur nur zu
retten durch Ausmerzung aller jüdischen Einflüsse geistiger, kultureller
und moralischer Natur.
Den Kampf gegen den jüdischen Geist und seine Träger führt der
Rassenantisemitismus unerbittlich gegen jüdische Schriftsteller der
Gegenwart und der Vergangenheit, gegen jüdische Künstler und Gelehrte,
Journalisten und Verleger: mit dem einen Ziel der geistigen Autarkie der
germanisch-arischen Rasse.
In diesem Kampf gegen den jüdischen Geist war es unmöglich, die Religion
auszuschalten. Anderseits konnten die Antisemiten nicht übersehen, dass
die Heilige Schrift der überwältigenden Mehrheit aller Deutschen ein
nationales Produkt jüdischen Geistes ist: die Bibel. Denn beide
Testamente sind zur Gänze von Juden verfasst: von jüdischen
Schriftstellern und Historikern, Dichtern und Philosophen, Königen und
Gesetzgebern, Propheten und Heiligen. Ein Teil dieses Werkes enthält die
jüdische Nationalgeschichte, ein anderer das jüdische Nationalgesetz;
die Psalmen bilden die schönste Blüte jüdischer Dichtung, während andere
biblische Schriften den höchsten Gipfel jüdischer Ethik verkörpern.
Dieses großartige Dokument jüdischen Geistes hat auf die gesamte
geistige Struktur der Germanen und anderen Europäer einen ungleich
tieferen Einfluss ausgeübt als sämtliche andere Werke jüdischer Autoren
zusammengenommen. Dieser Einfluss hält unvermindert an. Wahrend in der
Geschichtsstunde die deutschen Schulkinder von den Taten der großen
deutschen Kaiser hören, lernen sie nebenan in der Religionsstunde die
biblische Geschichte Israels: von den großen Taten Moses' und Davids,
vom Heldentum Simsons und der Weisheit Salomons. An jedem Sonntag
versammeln sich viele Millionen deutscher Männer, Frauen und Kinder in
ihren Kirchen, um den Worten jüdischer Propheten oder Evangelisten zu
lauschen und die Lieder jüdischer Dichter anzuhören. Durch die Bibel
sind unzählige altjüdische Gedankensplitter zum Gemeingut der gesamten
deutschen Nation geworden, während die von Moses verkündeten Zehn Gebote
auch von den meisten nichtjüdischen Europäern als höchstes Sittengesetz
anerkannt werden. Die gesamte europäische Kunst ist durch die Bibel
befruchtet: in Kirchen und Kapellen, an Brücken und Marktplätzen finden
sich in Deutschland und im übrigen Europa Millionen von Statuen und
Bildern, die jüdische Patriarchen und Propheten darstellen, jüdische
Apostel, Evangelisten, Heilige und Märtyrer.
Eine Bewegung, die sich die Ausschaltung aller
jüdischen Einflüsse aus der deutschen Kultur zum Ziel gesetzt hatte,
konnte nicht an der Tatsache vorübergehen, dass die heutige Religion der
Deutschen aus der jüdischen Religion hervorgegangen ist und in erster
Linie in jüdischem Gedankengut wurzelt. Dass nach den Lehren dieser
Religion die jüdische Rasse durch Jahrtausende das auserwählte Volk
Gottes war, alleinige Trägerin der wahren Offenbarung und des wahren
Gottesglaubens. Dass der Erlöser der Welt gerade aus dieser Rasse
hervorgegangen ist, aus ihr seine heilige Mutter auserwählt hat, seine
Freunde, Jünger und Nachfolger. Dass die Erlösung der Welt vom Judentum
ausging und vom jüdischen Königsstamme Davids. Solange diese Religion in
allen Schulen gelehrt und in allen Kirchen gepredigt wird, muss es dem
Rassenantisemitismus schwer fallen, die Lehre von der geistigen,
biologischen und moralischen Minderwertigkeit der jüdischen Rasse zum
unangreifbaren nationalen Dogma zu erheben. Seine Theoretiker sind darum
gezwungen, sich mit dem Christentum auseinanderzusetzen: um zu
versuchen, die jüdischen Einflüsse auch aus dem religiösen Leben
Deutschlands auszuschalten.
Da sich das nationalsozialistische Parteiprogramm grundsätzlich zum
positiven Christentum bekennt, versuchten dessen Theoretiker zunächst
das Christentum von jüdischem Gedankengut zu trennen, um es durch eine
Verschiebung der Akzente aufzunorden.
Dieser Versuch vollzog sich in der Hauptsache nach drei Richtungen:
erstens durch einen Kampf gegen das Alte Testament zugunsten des Neuen.
Zweitens durch eine antisemitische Deutung des Evangeliums. Drittens
durch die These von der arischen Herkunft Christi.
Alle drei Versuche mussten fehlschlagen. Es war unmöglich, das Alte
Testament aus der Bibel zu verdrängen: denn gerade die Weissagungen des
Alten Testaments bilden die stärksten Beweise für das neue, das
durchsetzt ist von altbiblischen Zitaten und Beziehungen. Außerdem
konnte selbst eine Zurückdrängung des Alten Testaments nichts daran
ändern, dass auch das Neue Testament ausschließlich von Autoren
jüdischen Blutes verfasst ist. Ebenso musste der Versuch fehlschlagen,
den Gegensatz zwischen der jüdischen und der christlichen Religion im
Sinne des Rassenantisemitismus auszuwerten. Denn die Evangelien
enthalten nichts, was sich gegen die jüdische Rasse richtet, aus der
Christus und die Evangelisten hervorgegangen sind. Für die ersten
Christen war das Christentum kein Anti-Judentum, sondern ein
reformiertes Judentum. Jeder Rassenantisemitismus wäre ihnen daher
unsinnig erschienen.
Die schmerzlichste und unverständlichste Tatsache für
christliche Rassenantisemiten aber musste in der jüdischen Abstammung
Christi liegen. Darum wurden von dieser Seite die abenteuerlichsten
Versuche unternommen, um dem Stifter des Christentums eine arische
Abstammung nachzuweisen. Manche dieser Versuche sind absurd, andere
blasphemisch. Dennoch ist es selbstverständlich, dass sie unternommen
wurden, da die jüdische Herkunft Christi für alle denkenden Christen am
vollkommensten alle Theorien widerlegt von der naturgegebenen
Minderwertigkeit des jüdischen Blutes gegenüber dem arischen.
Der Glaube an die jüdische Abstammung Christi von
Abraham, Isak, Jakob und David geht unzweideutig aus den Evangelien
hervor. Wer hier zweifelt, verlässt den Boden des Christentums, ohne den
Boden der Geschichtsforschung zu betreten, die keinerlei Anhaltspunkte
bietet für eine nichtjüdische Herkunft Christi.
Aber auch abgesehen von der Frage nach der
Persönlichkeit Christi können weder Theologen noch Historiker leugnen,
dass die ersten Christen der jüdischen Nation angehörten und dass das
Christentum aus dem Judentum hervorgegangen ist. Schon aus diesem Grunde
mussten alle Versuche fehlschlagen, Christentum und Rassenantisemitismus
auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Nach dem Fehlschlag all dieser Kompromissversuche, die theologisch von
Anfang an hoffnungslos waren, stand der Rassenantisemitismus vor der
Wahl: entweder vor den jüdischen Elementen des Christentums zu
kapitulieren —
oder mit dem Christentum zu brechen und an dessen Stelle eine
heidnische Weltanschauung zu suchen.
Während der christliche Rassenantisemitismus inkonsequent ist — ist der
heidnische Rassenantisemitismus konsequent. Denn nur das Neuheidentum
zieht die logische Konsequenz aus dem Rassenantisemitismus: wie er die
Philosophie Spinozas ablehnt, die Dichtung Heines, die Musik Mahlers und
die Physik Einsteins — genau so lehnt es auch die Bibel ab, von Moses
bis zu den Evangelisten.
Freilich hüten sich selbst diese extremsten Antisemiten vor den letzten
Konsequenzen ihrer Ideologie: sonst müssten sie sich weigern, Radio zu
hören, weil die Radiowellen vom Halbjuden Hertz erfunden wurden — oder
Auto zu fahren, weil es der Jude Marcus erfunden hat.
Nichtsdestoweniger ist die Forderung der Neuheiden, durch eine
germanische Weltanschauung die christliche zu ersetzen und so den
biblisch-jüdischen Geist aus Deutschland zu verdrängen, ungleich klarer
und logischer als die kindischen Versuche christlicher
Rassenantisemiten, das Christentum von jüdischen Einflüssen zu befreien.
Denn jeder derartige Versuch ist ebenso hoffnungslos, wie wenn die
Japaner versuchen wollten, alle indischen Einflüsse aus ihrer Kultur
auszuschalten und dennoch Buddhisten zu bleiben.
Die deutschen Neuheiden vertreten den Standpunkt, dass die Verjudung
Deutschlands mit dessen Bekehrung zum Christentum begann und erst durch
die Ausschaltung des Christentums ein radikales Ende finden kann. Darum
fordern sie eine neue Germanenreligion, in der Wotan an die Stelle
G'ttes tritt, die Edda an die Stelle der Bibel, Nietzsche an die Stelle
von Moses. Sie fordern den Kampf gegen das Christentum, um frei von
jüdischen Einflüssen eine germanische Weltanschauung aufzubauen.
Während es von beschämender Gedankenarmut zeugt, wenn ein gläubiger
Christ durch sein Bekenntnis zum Rassenantisemitismus die Wurzeln seiner
eigenen Religion besudelt, ist die neuheidnische Konsequenz des
Rassenantisemitismus logisch unangreifbar.
Genau so wie der Nationalsozialismus die politische Form des
konsequenten Rassenantisemitismus ist, ist das Neuheidentum dessen
religiöse Form.
Der Aufschwung des Neuheidentums im nationalsozialistischen Deutschland
ist nur die logische Konsequenz der antisemitischen Propaganda und der
Ideologie Alfred Rosenbergs. Rassenantisemitismus und Christentum
geraten in immer schärfere Gegensätze, in immer gefährlichere Kämpfe.
Immer klarer stellt es sich heraus, dass Rassenantisemitismus und
Christentum weltanschaulich unvereinbar sind; dass ihr Gegensatz nur
vorübergehend überbrückt werden kann, um dann mit um so stärkerer Gewalt
wieder hervorzubrechen.
So kehrt der Antisemitismus zum religiösenKampffeld zurück, von dem er
seinen Ausgang nahm. Nur hat sich inzwischen seine Front verschoben: er
wendet sich nicht mehr gegen die jüdische Religion, solange sich diese
auf sich selbst beschränkt, keinen Einfluss auf die germanische
Kulturwelt nimmt und nicht versucht, unter Ariern Proselyten zu machen.
Der neue religiöse Kampf des Rassenantisemitismus gilt ausschließlich
der christlichen Religion auf Grund ihrer jüdischen Abstammung. Siegt
der Rassenantisemitismus, so bedeutet dies das Ende des deutschen
Christentums und dessen Ersatz durch neue Glaubensformen. Siegt das
Christentum, so bedeutet dies das Ende des Rassenantisemitismus.
Die konsequente Wendung des Rassenantisemitismus gegen die christliche
Weltanschauung ist so rasch erfolgt, dass heute
nur die weitestblickenden Christen sich ihrer ganz bewusst geworden
sind und die Todesgefahr erkennen, die das Anschwellen des
Rassenantisemitismus für das deutsche Christentum bedeutet.
Noch verwechseln die meisten Christen ihren zweitausendjährigen Kampf
gegen den jüdischen Glauben mit dem neudeutschen Kampf gegen das
jüdische Blut. Noch sehen viele Christen in den Rassenantisemiten
willkommene Bundesgenossen gegen das Judentum.
Aber schon dämmert die Erkenntnis, dass im Rassenantisemitismus dem
Christentum ein viel stärkerer und gefährlicherer Feind entstanden ist,
als das Judentum ihm jemals werden kann. Dass die Fronten sich
verschoben haben und dass der eigentliche Weltanschauungskampf heute
weniger zwischen Christentum und Judentum geführt wird als zwischen
Christentum und Neuheidentum.
So kehrt sich heute der Antisemitismus, nachdem er durch Jahrhunderte
vom Christentum geschürt wurde, gegen die christliche Religion: wie ein
Bumerang, der auf jene zurückfällt, die ihn einst auf das Judentum
geschleudert haben.
So führt der Rassenantisemitismus, der aus dem christlichen
Antisemitismus hervorgegangen ist, mit zwingender Logik zum
neuheidnischen Anti-Christentum.
II. Neue Anklagen:
Der Rassenmythos und das Streben nach
Weltherrschaft
Durch den Sieg des Nationalsozialismus sind eine
Reihe antisemitischer Thesen, die bis dahin nur von einigen
Rassentheoretikern verfochten wurden, in die Massen gedrungen...
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