Personenlexikon zum Antisemitismus:
Judenfeinde in Geschichte und Gegenwart
Der zweite Band des Handbuchs des
Antisemitismus enthält rund 700 Biographien von Personen, die von der
Spätantike bis zur Gegenwart auf allen Kontinenten der Erde im Kontext der
Judenfeindschaft eine Rolle gespielt haben.
Wolfgang Benz
Selbstverständlich musste eine Auswahl getroffen
werden, und so wird mancher Spezialist einen Namen vermissen, der auf einem
Randgebiet wichtig gewesen ist, der aber aus Gründen der Ökonomie keine
Aufnahme finden konnte. Andererseits wird mancher Leser mit Erstaunen auf
Persönlichkeiten stoßen, die in diesem Zusammenhang nicht ohne weiteres zu
vermuten waren.
Intention des Handbuchs konnte es aber nicht sein, sich auf Biographien zu
beschränken, deren Träger wie Wilhelm Marr, Theodor Fritsch, Georg Ritter
von Schönerer oder Julius Streicher die Hetze gegen Juden zu
ihrem wichtigsten Lebensinhalt machten. Manche Personen sind aufgenommen,
weil sie in bestimmten Lebensphasen antijüdische Einstellungen hatten, die
wirkungsmächtig waren oder ihre Weltanschauung bestimmten. Andere, wie der
Jurist und Diplomat Johann Ludwig Klüber, eine Koryphäe des
Staatsrechts Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, sind
berücksichtigt, weil sich in ihnen Zeitgeist spiegelt: Klüber war kein
Judenhasser, aber er machte seine Überzeugung öffentlich, Juden seien nicht
integrierbar in die deutsche Gesellschaft.
Der Wiener Orientalist Wahrmund erscheint
in diesem Handbuch nicht als Verfasser wichtiger philologischer Werke zu den
Sprachen Arabisch und Persisch, sondern als Autor der antisemitischen
Zeitschrift "Der Hammer". Aufzuführen waren auch Personen wie Ludwig
Woltmann, der als Schriftsteller nicht in die erste Reihe der
Antisemiten gehört, der aber als Ideologe des Sozialdarwinismus und der
"Rassenhygiene" das Denken in Kategorien wie "minderwertig" und
"lebensunwürdig" förderte.
Einige Personen sind deshalb in diesem Handbuch
zu finden, weil sie eine bestimmte Funktion mit Einfluss und Wirkung hatten,
an wichtiger Stelle antisemitische Gesinnung zur Geltung brachten (oder
bringen), ohne selbst programmatisch oder theoretisch als Judenfeinde
hervorzutreten. Beispiele sind die Sportfunktionäre Carl Diem,
Ferdinand Hueppe und Edmund Neuendorff oder die uruguayische
katholische Theaterkritikerin Laura Carreras de Bastos.
Aus vielen Gründen sind die Lemmata auch von
unterschiedlicher Länge. So hatte der als Schriftsteller zu Recht vergessene
Max Bewer als Verfertiger abstruser auflagenstarker Traktate und
Pamphlete Ende des 19. Jahrhunderts enormen Einfluss auf den Antisemitismus
als völkische Bewegung und war entsprechend ausführlich zu würdigen. Oder
der in den USA wirkende katholische Priester Charles Edward Coughlin,
der mit seinen Radiosendungen in den 1930er Jahren ein Millionenpublikum
erreichte, dem er seinen Judenhass und seine Begeisterung für Adolf
Hitler vermittelte. Katholischen Fundamentalismus, amalgamiert mit
antijüdischen Ressentiments verbreitet gegenwärtig in Polen der
Redemptoristenpater Tadeusz Rydzyk mit der medialen Kraft von Radio
Maryja, er ist ebenso gewürdigt wie der in den Schoß der Amtskirche
zurückgeholte fundamentalistische Bischof Richard Williamson, der als
Holocaustleugner bekannt wurde.
Die biographischen Daten zu wichtigen Personen
des Mittelalters und der frühen Neuzeit sind oft spärlich (gelegentlich
trifft dies auch für Akteure der Gegenwart zu, wie den früheren
Premierminister Malaysias, Mahathir), viele Vertreter der Kirche
z.B., die für ein Handbuch zum Antisemitismus wichtig sind, kennt man vor
allem als Verfasser von Predigten oder theologischen Abhandlungen, über ihre
Herkunft und ihr Leben ist häufig über ihre Funktion in der
Kirchenhierarchie hinaus nichts bekannt.
Generell gilt auch die Regel, dass der Umfang
eines Beitrags nicht von der allgemeinen Bedeutung der jeweiligen Person
bestimmt ist, sondern davon, welche Zusammenhänge mit dem Thema Juden und
Judenfeindschaft bestehen. Der Eintrag zu Johann Wolfgang von Goethe
ist daher kürzer als die Darstellungen über Schriftsteller wie Hermann
Goedsche oder Johann von Leers, deren Bedeutung im Sinne des
Antisemitismus beträchtlich, deren Rang in der Literaturgeschichte jedoch
völlig unerheblich ist. Personen, die als Propagandisten der
Judenfeindschaft oder als Anstifter von Gewalt in Erscheinung traten, die
einem größeren Publikum aber wenig bekannt sind, war größere Aufmerksamkeit
hinsichtlich Herkunft und Lebensumständen zu widmen als prominenten Figuren
der Geschichte. So waren Hitler, Göring und
Himmler als
maßgebliche Protagonisten des Völkermords an den Juden Europas zu behandeln,
aber nicht in allen Details ihrer Karrieren (die ja in anderem Zusammenhang
gründlich dargestellt und leicht abrufbar sind).
Der Leser wird auf Namen stoßen wie den des
Schriftstellers Thomas Mann, den man ebenso wie den Philosophen
Immanuel Kant nicht auf Anhieb in diesem Zusammenhang vermutet. Bei den
Genannten geht es um die Aspekte ihres Werks, die auch das Thema
Antisemitismus berühren.
Es sind aber auch Biographien wie die des Schriftstellers Emile Zola
oder die Theodor Herzls aufgenommen worden, weil sie ihre Stimme
gegen den Antisemitismus erhoben oder für die politische Vision des
Zionismus als einer Strategie gegen praktizierte Judenfeindschaft gekämpft
haben. Andere waren prominente Opfer des Judenhasses wie Joseph
Oppenheimer, der als "Jud Süß" zur literarischen Figur wurde, wie der
französische Hauptmann Alfred Dreyfus, der Philosoph Theodor
Lessing, der Mathematiker Emil Gumbel, der Sexualforscher
Magnus Hirschfeld, der französische Politiker Leon Blum, der
Berliner Polizeipräsident Bernhard Weiß, der Politiker Walther
Rathenau, der Publizist Eduard Lasker, der Politiker Paul
Merker.
Funktionäre des NS-Staats, die nicht in der
ersten Reihe standen und deshalb weithin unbekannt blieben, die aber wie
Emil Schumburg im Auswärtigen Amt, Wolfgang Diewerge im
Propagandaministerium, Hans Diebow als Redakteur des "Völkischen
Beobachters" und Verfasser antisemitischer Hetzschriften, Eberhard
Taubert, Fritz Hippler, Hans Hinkel oder Eberhard
Wolfgang Möller, als Urheber von antisemitischen Pamphleten,
Drehbüchern, Filmen oder als Administratoren der Ausgrenzung und Verfolgung
tätig waren, mussten entsprechend ausführlich gewürdigt werden, nicht
zuletzt auch deshalb, weil viele von ihnen in der Zeit nach 1945 neue
Karrieren starteten wie etwa Kurt Ziesel, der Publizist, der sich im
Dritten Reich als fanatischer Nationalsozialist und Antisemit hervortat und
in der Bundesrepublik mit Ehrungen überhäuft wurde und der Bundeskanzler
Kohl auf einer Israelreise begleiten durfte.
Im biographischen Teil eines Handbuchs des
Antisemitismus kann es natürlich nicht darum gehen, Personen als
Antisemiten" zu etikettieren und damit zu stigmatisieren, wie dies im
politischen Tageskampf üblich ist. Die wissenschaftliche Intention einer
Sammlung von Biographien unter dem Rubrum Antisemitismus besteht darin, das
Verhältnis der Porträtierten zum Judentum und zur Judenfeindschaft zu
zeigen; das schließt geleistete Beiträge zur Entwicklung der Ideologie der
Judenfeindschaft ebenso ein wie Propaganda und Organisation des
Antisemitismus bis hin zur Täterschaft im Holocaust. Aufgenommen wurden
unter dieser Perspektive auch Personen, die durch Abwehr von
Judenfeindschaft bekannt wurden, wie der ungarische Rechtsanwalt Käroly
Eötvös oder der Schweizer Publizist Carl Albert Loosli.
Schließlich mussten auch Menschen erwähnt werden, die wie Herschel
Grynszpan, Mendel Beilis, Leopold Hilsner und Habib
Elghanian katalysatorische Funktion hatten, weil sie benutzt wurden, um
Judenhass zu stimulieren, dessen Opfer sie wurden.
Herausgeber und Redaktion haben sich bei der
Transkription fremdsprachiger Namen und Begriffe wieder zugunsten der
Lesbarkeit und im Interesse der Benutzer für die im deutschen Sprachgebrauch
geltende Umschrift und gegen die wissenschaftlich korrektere Transliteration
entschieden. Da in Russland bis Anfang 1918 der Julianische Kalender galt,
der im 19. Jahrhundert 12 und im 20. Jahrhundert 13 Tage hinter dem
Gregorianischen Kalender zurückblieb, sind bei den Lebensdaten beide
Datumsangaben aufgeführt.
Allen Mitwirkenden, zuallererst den 176 Autoren,
der Redaktion unter Brigitte Mihok, Angelika Königseder, die die Mühen der
Schlusskorrektur auf sich nahm, und nicht zuletzt dem Team des Verlags K.G.
Saur gilt herzlicher Dank dafür, dass die beiden Teilbände des zweiten
Bandes pünktlich ein Jahr nach dem Erscheinen des ersten Bandes folgen.
Berlin, im Juni 2009
Wolfgang Benz
Aus dem Vorwort zum
zweiten Band des
Handbuchs des Antisemitismus, herausgeg. v. W. Benz.
Siehe auch Rezensionen...
Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart:
Bd.1 : Länder und Regionen
Bd. 2: Personen