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Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht
Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit in einem gesellschaftlichen Problemfeld


Von Ingolf Seidel
Besonderheiten sekundär antisemitischer Muster

5.3.2. Antifaschismus als Erinnerungsabwehr: die DDR

Die Darstellung des Antisemitismus im Post-Holocaust Deutschland wäre grob lückenhaft, würde nicht auch seine Ausformung in der DDR angesprochen. Auch in der politischen Bildung wird man bei Fortbildungen mit Lehrern und Lehrerinnen mit Einzelnen konfrontiert, deren Sozialisation noch geprägt ist von der spätstalinistischen DDR-Gesellschaft.

Bedingt durch die unterschiedlichen politischen Ideologien divergieren m.E. weniger die Ausprägungen des Autoritarismus in den Einzelnen, als die Begründungszusammenhänge des Antisemitismus. Dennoch gibt es auch hier deutliche Überschneidungen zumal mit der westdeutschen Linken. Eine stringente Analyse des Antisemitismus in der DDR wird nicht nur durch die notwendige Eingrenzung des Themas erschwert. Die Forschungslage hierzu ist bisher sehr fragil und viele Betrachtungen der DDR wirken eher aus dem Interesse geleitet die westliche Demokratie post festum als das überlegenere System dazustellen. Totalitarismustheoretische Überlegungen, die den Nationalsozialismus und das stalinistische System eins setzen entbehren hier nicht einer gewissen Absurdität, da sie vor allem in den Varianten eines Ernst Nolte, Rainer Zitelmann oder Hans-Helmut Knütter[240] darauf abzielen eine neonationalistische Betrachtung der Geschichte diskursfähig zu machen und konsequenter Weise den eliminatorischen Antisemitismus verharmlosen.

Die Ideengeschichte des Marxismus-Leninismus, auf welchen sich die SED als staatsführende Partei beruft, würde wohl in Gänze darzustellen sein, um zu einem vollständigen Verständnis der Ausprägungen eines Antisemitismus zu kommen, welcher sich hinter dem Vorzeichen ‚links’ versteckt. Allerdings wäre dem nur aber einer eigenständigen Aufführung gerecht zu werden. Das Marxsche materialistische Denken wurde in der Geschichte der verschiedenen sich kommunistisch nennenden Parteien in den Zustand eines Dinges erhoben, geriet zu einem Ismus und wurde so seines erkenntnistheoretischen Potentials entleert:

"Immer wieder hat sich gezeigt, daß gerade die, welche aus Marx schluckten, als wäre er nicht der Kritiker der politischen Theorie, sondern der Erfinder einer Weltformel, am ehesten bereit sich zeigten >umzufallen<, sobald sie einmal entdeckten, daß das Dasein sich nicht in seinen Kategorien erschöpft. Dogmatische Starrheit, schlechtes Gewissen und die Bereitschaft ein Cliché durchs nächste zu ersetzen, hinter dem die Macht steht, gehören zusammen."[241]

Die Hypostasierung der Theorien von Marx durch seine Apologeten, der sich mit seinem Kritik benannten Hauptwerk, den emanzipatorischen Seiten der Aufklärung verpflichtet hat, ist einer allgemeinen kulturellen Tendenz zur Vereinfachung des Komplexen und dem Verlust des spekulativen Denkens geschuldet.

Auch der Vorwurf, bereits Marx’ frühe Schrift "Zur Judenfrage"[242] sei antisemitisch gewesen geht m.E. fehl. Zwar benutzt Marx mit Sätzen, die lauten: "Der Wechsel ist der wirkliche Gott des Juden"[243], die stereotype Zuordnung von Juden und Geld. In seiner Frühschrift sieht er allerdings noch insgesamt den Handel und Geldgeschäfte als konstituierend für den Kapitalismus. Eine Verkürzung, die er später revidiert. Weiterhin behauptet Marx nicht, und das unterscheidet ihn grundsätzlich vom Antisemitismus und völkischem Antikapitalismus, "die Juden seien die einzigen in der Zirkulationssphäre Tätigen oder gar die schuldigen Urheber der modernen Wirtschaft."[244] Auch zeigt sich bei Marx an keiner Stelle, ebenfalls im Unterschied zur spätstalinistischen DDR oder Teilen heutiger Globalisierungsgegner[245], "ein manichäisches Denken noch eine personifizierend-verschwörungstheoretische Welterklärung, die nach schuldigen Tätern sucht, noch will er eine identitäre Gemeinschaft »Volk« oder »Nation« gegenüber dem Feindbild »Jude« konstruieren."[246]

Im Gegensatz dazu finden sich jedoch die zuletzt genannten Elemente sämtlich in Ideologie und Politik vor allem der frühen SED, auch wenn die DDR, bzw. die SBZ zur Heimat vieler Menschen geworden ist, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden sind und zu denen auch jüdische KommunistInnen gehört haben.

Mit ihrem Faschismusbegriff folgt die SED streng der Dimitroffschen Sicht und klassifiziert den "Hitlerfaschismus" in ihrem Gründungsdokument als das "Herrschaftsinstrument der wildesten, reaktionären und imperialistischen Teile des Finanzkapitals."[247] Dementsprechend kann die deutsche Bevölkerung selber zum Opfer einer kleinen Clique von Rüstungsindustriellen und Bankherren stilisiert werden. Mit einer Darstellung, welche das nationale Kollektiv als Sklaven der finsteren Macht Hitlers darstellt, legitimiert sich nicht nur das Anknüpfen an die deutsche Vergangenheit vor dem NS, sondern die Notwendigkeit einer Aufarbeitung des Strukturellen am Antisemitismus wird völlig verkannt.

"Die DDR konnte sich als das »neue« und »bessere Deutschland« präsentieren, das als antifaschistischer Staat der Arbeiterklasse per definitionem mit dem Nationalsozialismus nichts mehr zu tun habe – eine Sicht, die das Selbstverständnis und die Biographien der Funktionäre der SED, die sich während des Dritten Reiches im antifaschistischen Widerstand, in Haft, im KZ oder Exil befunden hatten (...), auf den ganzen Staat und seine Bevölkerung ausweitete."[248]

So ist qua Deklaration die gesamte Bevölkerung von SBZ/DDR von jeglicher Schuld am Genozid, welchen die Deutschen durchgeführt hatten, freigesprochen worden. Dies wird auch nicht dadurch relativiert, dass in der SBZ/DDR bekannte Täter in Funktionen des NS-Staates schneller und konsequenter abgeurteilt worden sind als im Westen. Der staatlich propagierte Antifaschismus hat derart das "kollektive Identifikationsangebot"[249] geschaffen, welches als Matrix für eine aggressive Erinnerungs- und Schuldabwehr dient und im Mythos des sogenannten besseren Deutschlands den kollektiven Narzissmus befördert hat. Die SED versucht mit ihrer, ab 1948 gerade zu nationalistischen, Propaganda, welche die Kategorien ‚Klasse’ und ‚Volk’ verschmilzt, im Osten Deutschlands die Existenz eines zweiten deutschen Staates zu legitimieren. So wird kurzerhand die BRD zum "undeutschen" Staat erklärt und die Staatspartei präsentiert sich "als »Vortrupp des deutschen Volkes« im »nationalen Befreiungskampf« gegen »imperialistische Okkupation« und »Dollarzinsknechtschaft«."[250]

Vor dem Hintergrund dieses kommunistischen Nationalismus, der den Begriff des ‚Volkes’ affirmativ besetzt, entsteht nicht nur ein ungeheurer Konformitätsdruck in der Staatspartei. Forderungen nach Entschädigung von Juden oder die Rückgabe des gestohlenen Eigentums an jüdische Besitzer oder überlebende Verwandte werden von der SBZ/DDR abgelehnt. Gegen den nicht-jüdischen Kommunisten Paul Merker, bis 1933 Mitglied des Zentralkomitees der KPD und Exilant in Mexiko, der sich für derartige Entschädigung und Rückübertragung eingesetzt hat, wurde 1953 ein Schauprozess initiiert. Gegen Merker und andere, auch jüdische, Parteimitglieder wie Leo Zimmermann, Erich Jungmann oder Alexander Abusch, wurde, in der Nachfolge des Prager Slánský-Prozesses[251], deren Engagement für Entschädigungen und ihr westliches Exil in antisemitisch-antizionistischer Absicht gewendet. Der strukturelle Antisemitismus der SED, mit seinem erinnerungsabwehrenden  Nationalismus, der verkürzten antikapitalistischen Sicht und der paranoiden Konstruktion innerer, wie äußerer Feinde, schlägt hier in einen manifesten um. In dem Beschluss des Zentralkomitees der SED, ‚Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slánský’ betitelt, wird ein paranoider Verschwörungszusammenhang konstruiert:

"Die zionistische Bewegung hat nichts gemein mit Zielen und wahrhafter Menschlichkeit. Sie wird beherrscht, gelenkt und befehligt vom USA-Imperialismus, dient ausschließlich seinen Interessen und den Interessen der jüdischen Kapitalisten."[252]

Die Unterscheidung des DDR eigenen Antisemitismus vom völkischen ergibt sich hier nur noch aus dem polit-ökonomischen Begründungszusammenhang gegenüber einem ethnischen. Statt einen kritischen und selbstreflexiven Umgang mit deutscher Schuld anzustreben, wird diese auch in der SBZ/DDR veräußerlicht, einer kleinen Clique, bzw. dem ‚Finanzkapital’ zugeschrieben, um diese Schuld dann pathisch auf "den Zionismus", bzw. "jüdische Kapitalisten" zu projizieren.

Beinahe zwangsläufig erscheint es, wenn in dem erwähnten Beschluss des Zentralkomitees, wenig verklausuliert, eine jüdische Mitschuld am Nationalsozialismus behauptet wird:

"Merker, der in Worten die Schuld der deutschen Arbeiterklasse und des gesamten deutschen Volkes am Sieg des Faschismus anerkennt, lehnt diese Schuld in doppelzünglerischer Weise in Wirklichkeit ab, indem er die jüdische deutsche Bevölkerung von dieser Schuld ausdrücklich freispricht."[253]

In der Folge des Prozesses gegen Paul Merker und andere werden nicht nur die jüdischen Gemeinden in Ostdeutschland durch Telefonüberwachung oder Beschattungen ausspioniert. In verschiedenen Fällen wird Juden und Jüdinnen das Verlassen des Wohnortes verboten, jüdische Kaufleute werden enteignet und in den Verwaltungen viele Juden entlassen. Unrühmlich ist hierbei auch die Rolle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die selber Listen mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde erstellt und sich aus Furcht vor einem Verbot der antizionistischen Diktion angepasst hat, bis sie selbst im Februar 1953 aufgelöst worden ist[254]. In der Nachfolge dieser antisemitischen Verfolgungen sind viele Jüdinnen und Juden nach Westdeutschland geflohen. Der antisemitische Antizionismus ist in der DDR, die bis 1988 Israel nicht offiziell anerkannt hat, Staatsdoktrin geworden. In der Logik eines sich selbst als antifaschistisch deklarierenden Staates sind auch die seit Anfang der 80er Jahre auftauchenden Manifestationen des Antisemitismus in der Bevölkerung bagatellisiert worden[255].

Die Existenz autoritätsgebundener Charaktere ist, wenn man Adorno folgt, weniger an die politisch-ökonomischen Ideologien gebunden, als an deren Identifikation mit der Macht. Der "Linksautoritarismus" ist in der DDR begünstigt worden durch gesellschaftlichen "Konformitätsdruck, autoritäre Strukturen, und die Vermittlung rechter bis rechtsradikaler Werte wie Disziplin, Ausgrenzung von Abweichung, Pflichterfüllung (...)"[256]

und protestantischer Ethik. Hinzu kommt in der DDR die Verherrlichung eines Arbeitsethos, der ‚Helden der Arbeit’, die als nationale Arbeit die "tauschwertbestimmte Entfremdung der >abstrakten< Arbeit" [257] aufheben soll. Die Unzufriedenheit der Einzelnen mit dem Regime hat  sich im Rückzug auf die Arbeit, den Betrieb als Gemeinschaft, jenseits des konkreten Arbeitsinhaltes ausgedrückt. Nicht nur ökonomische Gründe haben zum Niedergang des östlichen Staatskapitalismus beigetragen. Als schwache Autorität hat er auf Dauer nicht mit dem ‚Original’ aus dem Westen konkurrieren können. Der Zusammenbruch der DDR ist keine Revolution gewesen. Sie ist die konformistische Rebellion herrschaftlich Subjektivierter zur Erlangung eines gesamtdeutschen nationalen Kollektivs und zur Teilhabe an der Macht des ökonomisch starken bundesdeutschen Kapitalismus.

[240] Der Historiker und Politikwissenschaftler Zitelmann ist Berater und Autorenvermittler der rechtsextremen Zeitschrift Junge Freiheit, Mitglied der Berliner FDP und gilt als Kristallisationsfigur intellektueller junger Rechter seit Ende der 80er Jahre (vgl. Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin (Elefanten Press) 1996, S. 546f). Prof. Dr. Knütter ist ehemaliger Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung. Er schrieb 1990 in der Schriftenreihe des Bundesinnenministeriums "Texte zur inneren Sicherheit": "Die Aufdeckung der kommunistischen Untaten legt es nahe, nationalsozialistische Taten zu relativieren und eben nicht als einmalig und unvergleichbar erscheinen zu lassen." (zit. nach: Ingolf Seidel (is): Die Gesellschaft der unendlichen Mitte, 2002, http://hagalil.org/s4/klick-nach-rechts/gegen-rechts/2002/01/totalitarismus.htm).

[241] Theodor W. Adorno: Die UdSSR und der Frieden, in: Ders.: Vermischte Schriften I. Gesammelte Schriften Bd. 20.1, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2003 (1950), S. 392.

[242] Karl Marx: Zur Judenfrage, in: Ders./ Friedrich Engels: Werke Bd.1, Berlin (Dietz) 1961 (1844).

[243] Ebda. S. 375.

[244] Haury: Antisemitismus von links, a.a.O., S. 457.

[245] Vgl. hier beispielhaft die Kritik am globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC, welchem der DGB Regionalvorsitzende Wertmüller aus Göttingen in puncto Antisemitismus und Israel vorhält, dass es in seiner  Internetpräsentation Positionen vertrete, "wie sie ansonsten nur von Rechtsextremisten und islamischen Organisationen bekannt sind:" ( zit. nach Max Brym: Antisemitismus-Vorwurf: DGB- Regionalvorsitzender greift ATTAC an, http://www.hagalil.com/archiv/2003/09/dgb.htm).

[246] Ebda., S. 457.

[247] Dokumente der SED. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralsekretariats und des Parteivorstandes, Bd. 1, Berlin, zit. nach Haury, a.a.O., S.375.

[248] Ebda., S. 376.

[249] Rensmann: Kritische Theorie über den Antisemitismus, a.a.O., S. 274.

[250] Haury: Antisemitismus von links, a.a.O., S. 461f.

[251] Der Prager Prozess gegen das ‚Verschwörerzentrum Slánský’ stellt 1952 einen der letzten großen Schauprozesse der Stalin-Ära gegen v.a. bulgarische und ungarische Kommunisten dar. Der ebenfalls angeklagte Generalsekretär der tschechoslowakischen KP Rudolf Slánský ist ein getreuer Anhänger Stalins gewesen. Vgl auch Lothar Mertens: Antizionismus: Feindschaft gegen Israel als neue Form des Antisemitismus, in: Wolfgang Benz (Hg.): Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils, München (dtv) 1995, S. 94f; detaillierter: Haury, a.a.O., S.391ff.

[252] Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slánský zit. nach: Mertens, a.a.O., S. 94f.

[253] zit. nach Haury, a.a.O., S. 397.

[254] Vgl. ebda., S. 401f. Die Mehrzahl der VVN-Mitglieder wahr selbst jüdisch und wurde des ‚Sektierertums’ u.ä. verdächtigt. Auch stellt für viele kommunistisch orientierte Juden das Judentum keine identitäre Bezugsgröße dar. Gerade sie sind aber in der Regel von außen zu Juden gemacht worden.

[255] Vgl. Mertens, a.a.O., S. 98.

[256] Rensmann, Kritische Theorie über den Antisemitismus, a.a.O., S. 216.

[257] Woeldicke/Schatz: Freiheit und Wahn deutscher Arbeit, a.a.O., S. 146.

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2007