[Das
Wesen des Antisemitismus]
Von Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi (1859,
Wien - 1906, Poběžovice)
Zweites Kapitel
Antijudaismus im Altertum
pp 142 in der 1.Auflage von R.N. Coudenhove-Kalergis
1935 herausgegebenem Buch "Judenhass - Antisemitismus".
1. Vorhellenistische Zeit
Ernest Renan* schreibt in seinem V. Bande der
Geschichte Israels, Seite 227, folgende bedeutende Worte: "Der
Antisemitismus ist nicht eine Erfindung unserer Zeit, er war niemals
brennender als im letzten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, und wenn
eine Erscheinung sich auf diese Art an allen Orten und zu jeder Zeit
wiederholt, so verlohnt es sich gewiss der Mühe, sie zu studieren. In
Alexandrien, in Antiochien, in Kleinasien, in Cyrene, in Damaskus ist
der Kampf zwischen Juden und Nicht-Juden ein permanenter. Die Zeit des
religiösen Hasses beginnt, und man kann nicht leugnen, dass diese
Äußerungen des Hasses gewöhnlich von den Juden provoziert worden sind.
Es war dies die fatale Konsequenz der Einführung des Absoluten in der
Religion. Die Christen haben später das Übel auf die Spitze getrieben,
aus anfänglich Verfolgten wurden sie Verfolger."
Anm. (haGa): Der hier immer wieder zitierte Renan
war als Orientalist keinesfalls unumstritten. Gerade sein Antisemitismus
wurde ihm immer wieder vorgeworfen. Dementsprechend sind die von
Coudenhove angegebenen Zitate mit Vorsicht zu genießen.
Aus der Wikipedia: Ernest Renan (1823 in Tréguier - 1892 in Paris),
französischer Schriftsteller, Historiker, Archäologe,
Religionswissenschaftler und Orientalist. Mitglied der Académie
française ...
... 1855 gab Renan eine historisch-systematische Konkordanz der
semitischen Sprachen heraus. In seinen Études d'Histoire Religieuse
behauptet er, "Semiten" sei militärischer, politischer,
wissenschaftlicher und geistiger Fortschritt fremd; Intoleranz sei die
natürliche Folge ihres Monotheismus, den sie den vom Polytheismus
geprägten Ariern aus ihrer Kultur übergestülpt hätten. Ihr arrogantes
Erwählungsbewusstsein sei seit 1800 Jahren verantwortlich für den Hass
auf sie. Damit meinte er die Juden und die Muslime, im besonderen die
Araber, die wie die Juden der semitischen Sprachgruppe und Ethnie
angehören.
Moritz Steinschneider, jüdischer Bibliograph und Mitgründer der
Judaistik, widersprach ihm und nannte Renans Einschätzungen erstmals
"antisemitisch".
1862 kam Renan - bei einem Vergleich zwischen Sanskrit und Hebräisch -
zum Schluss, dass die "schreckliche Einfalt des semitischen Geistes das
menschliche Gehirn zum Schrumpfen bringe und es jeder höheren geistigen
Leistung gegenüber verschließe". 1883 bescheinigte er in einer
"Vorlesung über die semitischen Völker" die Unfähigkeit zu
wissenschaftlichen und künstlerischen Leistungen wegen "... der
schrecklichen Schlichtheit des semitischen Geistes, die den menschlichen
Verstand jeder subtilen Vorstellung, jedem feinsinnigen Gefühl, jedem
rationalen Forschen unzugänglich macht, um ihm die immer gleiche
Tautologie 'Gott ist Gott' entgegenzuhalten".
Begriffe der Rassenlehre verwendet Renan aber nie in einem
biologisch-deterministischen Sinn. Er ist davon überzeugt, dass die
Weiterentwicklung der Menschheit gerade auf ihrer Vermischung beruhe, so
dass einzelne Rassen immer mehr an Bedeutung verlören. Gegen den nach
1870 aufkommenden Antisemitismus und Rassismus hat Renan sich stets mit
aller Entschiedenheit ausgesprochen.
Demnach setzt Renan die Entstehung des Antisemitismus in die Zeit, in
welcher die Römer Herren von Palästina wurden. Vielleicht könnte man die
Entstehung desselben noch weiter hinaufrücken bis zur Zeit der Rückkehr
der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft. Jedenfalls nicht früher.
Solange die Reiche Israel und Juda existierten, mochten sie von ihren
Nachbarn gehasst und verabscheut werden, wie jedes andere Völklein, das
letzteren im Wege stand, jedoch bloß aus politischen Gründen. Einen
eigentlichen Antisemitismus respektive Anti-Judaismus gab es aber nicht:
derselbe hat sicher nicht begonnen, bevor Esra mit fünf Gehilfen in
vierzig Tagen an Stelle der verbrannten alten Exemplare der heiligen
Schriften aus dem Gedächtnis ein neues Exemplar hergestellt hatte.
Wenn meine verehrten Gegner mir darauf antworten, dass es von mir
ungerecht ist, die für die antisemitische Theorie so fruchtbare und
verwertbare Geschichte des Auszuges (oder der Vertreibung?) der
Israeliten aus Ägypten nicht zu verwerten, so erlaube ich mir zu
antworten, dass ich ihnen diesbezüglich standhalten werde, wenn sie mir
einmal nachweisen, dass die Thora, welche allein diesen Auszug
beschreibt, zur Zeit der Richter und Könige den Juden bekannt war und
mir in den Schriften der älteren Propheten Zitate aus derselben
anführen; wenn sie mir ferner erklären werden, wie es möglich war, dass,
als zur Zeit Salomos die Bundeslade geöffnet wurde, das Buch des
Gesetzes, wie uns das erste Buch der Könige 8. Kapitel, 9. Vers,
versichert, sich in derselben nicht befand, wenn sie mir weiter
explizieren, wie 350 Jahre nach Eröffnung der Lade unter Salomo der
Hohepriester Hilkia zu dem Schreiber Saphan zur Zeit des Königs Josia im
Jahre 623 v. Chr. sagen konnte, er habe das Gesetzbuch gefunden im Hause
des Herrn, und woher Saphan und Hilkia wissen konnten, dass es jenes
Gesetzbuch war, und warum sie dann alle, statt sich an Jeremias zu
wenden, sich zur Prophetin Hulda begeben haben, um "mit ihr zu reden",
und aus welchem Grunde der Welt die letztere so außer sich geriet. Der
Auszug aus Ägypten ist auch etwas zu rasch erfolgt, als dass ich ihn
hier verwerten könnte; die Geschwindigkeit der Reise betrug nämlich
zirka 100 Kilometer per Stunde und jede jüdische Frau hatte an 60 Kinder
zum Mitschleppen, was ich den geehrten Leser sich selbst aus dem Texte
des Exodus auszurechnen ersuche.
Man wolle also entschuldigen, wenn ich die Geschichte des Antijudaismus
erst mit dem Augenblicke beginne, an welchem uns ein Judentum fix und
fertig mit der Thora oder Teilen der Thora entgegentritt, weil nur in
der Thora die Geschichte vom Auszug aus Ägypten ausführlich beschrieben
ist.
Erst unter der persischen Herrschaft ist die Trennung zwischen
Samaritanern und Juden definitiv geworden, und da die Samaritaner vom
Antisemitismus meines Wissens in Ruhe gelassen wurden, so sei es
gestattet, erst mit dieser Zeit zu beginnen.
C y r u s war, wie so viele große Herrscher, zum Beispiel
Alexander der Grosse, Julius Cäsar, Karl der Grosse, ein Gönner der
Juden, deswegen nennt ihn auch Deutero Jesaias "Gesalbten des Herrn".
Nach der Eroberung Babylons ließ er die Juden nach Palästina
zurückkehren, eine Erlaubnis, von welcher letztere auch in großem Masse
Gebrauch machten. Die zurückgekehrte Kolonie war außerordentlich arm;
sie hatten also offenbar in Babylonien noch nicht das Talent, sich
schnell zu bereichern.
In dieser Zeit erfolgte auf Esras Befehl die
schändliche Vertreibung der von den Juden angeheirateten fremden
Weiber*.
*) Wahrscheinlich stammt auch die Geschichte von Abraham und Hagar aus
dieser Zeit.
Unter Esra erfolgte auch die Promulgation der Thora.
Hierdurch war die Bigotterie der Juden ins Leben gerufen. Der Fanatismus
war geboren, die Literatur sank und Israel verfiel in einen 200jährigen
Schlaf (von 400—200 v. Chr.), wie ein Mensch, der eine zu starke Dosis
Opium erhalten hat. Die Thora ward für die Juden alles; sie war, wie
Renan sagt, das engste Schnürhemd, das jemals Lebendiges eingeengt hat.
Philosophie, Wissenschaft, Dichtung, alles wurde erstickt, natürlich
auch der Geschäftsbetrieb und der Handelsgeist, wie überhaupt jede freie
Tätigkeit. Renan bemerkt hierzu: "Der Zweck des mosaischen Gesetzes war,
die Juden im Zustande eines patriarchalisch regierten Volkes zu
erhalten, die Bildung großer Vermögen zu verhindern, die Entwicklung der
Industrie und des Handels nach phönizischem System unmöglich zu machen.
Die Juden sind erst dann reich geworden, als die Christen sie dazu
gezwungen haben, und zwar dadurch, dass man ihnen untersagte, Grund und
Boden zu besitzen und ihnen die Führung der Geldgeschäfte infolge
unpraktischer (christlicher) Anschauungen über das Zinsennehmen
aufdrängte."
Als Alexander der Grosse das Perserreich im Jahre 319 stürzte, wurde
Palästina nach seinem Tode (323) von Ptolemäus Lagus, dem Könige
Ägyptens, erobert. In jene Zeit fällt die Gründung der jüdischen Kolonie
in Alexandrien, die sich mit der Zeit zu hoher Blüte emporschwang.
Palästina wurde der Schauplatz des Krieges zwischen Ägypten und Syrien.
In dieselbe Zeit fällt auch der Beginn des Proselytismus.
Im Jahre 218 fiel Palästina auf kurze Zeit in den Besitz des
seleukidischen Königs Antiochus III., kam jedoch bald darauf wieder zu
Ägypten und fiel im Jahre 198 wieder an den seleukidischen Herrscher.
Doch schon im Jahre 193 wurde Palästina wiederum ägyptische Provinz,
aber nur für kurze Zeit.
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