[Das
Wesen des Antisemitismus]
Von Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi (1859,
Wien - 1906, Poběžovice)
Zweites Kapitel:
Antijudaismus im Altertum
pp 142 in der 1.Auflage von R.N. Coudenhove-Kalergis
1935 herausgegebenem Buch "Judenhass - Antisemitismus".
2. Erste Judenverfolgung
Vom Jahre 175 (v.Z. haGa)
an war die Hellenisierung des ganzen östlichen
Mittelmeeres zur Tatsache geworden. Die Gebildeten aller Völker wenden
sich willig der griechischen Zivilisation, Sprache und Philosophie zu,
Ägypten, Phönizien, Kleinasien, Syrien, teilweise auch Karthago,
Armenien und Assyrien, wurden hellenistisch, und zwar gern und leicht,
ja sogar mit Begeisterung; nur die Juden Palästinas mit ihrer Thora in
der Hand wollten von der griechischen Zivilisation nichts hören.
Justament nicht, so lautete wohl ihre Devise. Ein hartnäckiges Volk
fürwahr! Sie wollten ihre semitische Sprache behalten und im Geiste
ihrer Thora denken. Mit dem griechischen Kulte der Schönheit war der
Kultus des menschlichen Körpers, die Bewunderung des Nackten
unzertrennlich verbunden. Gerade das aber war den Juden ein Greuel. Auch
war infolge der Beschneidung der Jude immer dem Spotte des Nichtjuden
ausgesetzt. So entstanden denn sogar in Jerusalem zwei Parteien; die
hellenistische und die orthodoxe. Die letztere hielt starr und fest an
ihrer Thora, ihrer Sprache, ihren Sitten und Gebräuchen; es waren die
Chassidim, die Strenggläubigen, die Pharisäer.
Da kam nun in der Person des Königs Antiochus
Epiphanes ein Mann, der es zum ersten Male wagte, ins Wespennest
hineinzustechen. Er setzte sich in den Kopf, alle seine Untertanen unter
ein und dasselbe Gesetz zu bringen, das Judentum auszurotten, die Juden
zu Handlungen zu zwingen, welche sie für götzendienerisch hielten.
Antiochus begünstigte anfangs alle Liberalen, das heißt die
hellenistischen Juden, von denen viele zum heidnischen Glauben
übertraten. Jerusalem wurde immer mehr hellenistisch; während einiger
Jahre soll die Stadt sogar nicht einen einzigen jüdischen Einwohner
gehabt haben. Ja, was das Beste ist, die hellenistische Partei stellte
eine Statue des olympischen Zeus im Tempel Jahwes auf. Es war dies die
denkbar höchste Beleidigung der Jhwh-Religion. Nun verbot die Regierung
auch noch die Beschneidung, die Beobachtung des Sabbaths und der übrigen
jüdischen Gesetze. Alle Exemplare der Thora, deren man habhaft werden
konnte, wurden verbrannt. Aus dieser Zeit berichtet uns die biblische
Geschichte zahlreiche Fälle von Personen, die dem Glauben zuliebe den
Märtyrertod starben. Es war die Geburtsstunde eingetreten des großen
Gedankens, dass man eher Gut und Blut, Leib und Leben hinopfern muss,
als dem einzig wahren Glauben zu entsagen. Damit aber wurde die alte
jüdische Vorstellung, dass alle guten Taten und die Beobachtung des
Gesetzes von Gott hienieden auf Erden belohnt werden, notwendigerweise
zu Grabe getragen und es entstand, wahrscheinlich unter persischem
Einfluss, die dem Judentum bisher fremde Idee von der Auferstehung des
Fleisches und von einem ewigen Leben. Antiochus Epiphanes glaubte, wie
so viele religiöse Verfolger, die verfolgte Religion zu vernichten;
tatsächlich aber erzielte er den entgegensetzten Erfolg. Gerade durch
die Verfolgung rettete er diese Religion. Die Religionen lassen sich
nicht durch das Mittel der Verfolgung vernichten; im Gegenteil, sie
dient nur dazu, sie zu stärken und zu verbreiten. Die Geschichte liefert
uns unzählige Beweise für die Wahrheit dieser Tatsache. Die ganze
jüdische Geschichte bis auf den heutigen Tag, die blutige Verfolgung der
Christen zur Zeit des römischen Kaiserreiches, sowie in vielen anderen
Ländern; die schweren und grausamen Verfolgungen, die Mohammed und seine
ersten Anhänger durch die Koreischiten, die Parsis durch die
Mohammedaner in Persien zu erdulden hatten, mögen diese ewige Wahrheit
illustrieren. Das Blut der Märtyrer ist der Same der Religionen. Eine
große tiefe Wahrheit!
Die Folge der seleukidischen Verfolgung war der
glorreiche Aufstand der Makkabäer. Judas Makkabäus war die Seele der
Empörung. Er rettete das Judentum und die Thora, die ohne ihn verloren
gewesen wären. Wer die Geschichte dieser Kriege sowie des Kampfes der
Juden gegen die Römer unter Titus und Hadrian studiert, wird, wenn er
ehrlich ist, eingestehen müssen, dass die Juden eines der tapfersten
Völker der Erde gewesen sind. Wenn sie nun heute die großartige
Tapferkeit eingebüsst haben, so ist dieser Verlust das Resultat einer
geschichtlichen Entwicklung. Die Makkabäer hatten gesiegt, mit ihnen kam
die chassidische Richtung an die Regierung. Sie regierten streng nach
den Grundsätzen der Thora und waren infolgedessen von allen ihren
Nachbarn auf das äußerste verhasst; denn alle diese Nachbarvölker
standen auf Seite der Seleukiden, natürlich auch jene, welche semitische
Sprachen sprachen oder wenigstens gesprochen hatten und welche von den
Antisemiten als semitische Völker bezeichnet werden.
Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange. Die
Syrier, von Lysias angeführt, besiegten im Jahre 163 das jüdische Heer
der Makkabäer und stellten die syrische Herrschaft wieder her. Der
Friede wurde geschlossen auf Basis der Religionsfreiheit.
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hellenistischen Judenverfolgung... |