Zur Urteilsverkündung im Fall Malloth:
Eine nicht gehörte Zeugenaussage
Von Vera Neubrand, haGalil v. 30.05.2001
Anton Malloth, SS Mann und ehemaliger Aufseher im Gestapo- Gefängnis
"Kleine Festung" Theresienstadt, ist wegen Mordes in einem und wegen
versuchten Mordes in einem anderen Fall zu lebenslanger Haft verurteilt
worden. In einem weiteren Anklagepunkt, der ihn des zweifachen Mordes hätte
überführen sollen, war der Zeuge sich nicht mehr sicher, ob der Angeklagte
oder sein Vorgesetzter die Verantwortung für die Tat zu tragen hatte.
In der Prozeßberichterstattung ist die Tatsache, daß Malloth ein
Massenmörder war, von Anfang an wenig beachtet und nach der
Urteilsverkündung am 30. 5. 01 von den Medien vollkommen ausgeblendet
worden. Das mag vielleicht daran liegen, daß im Sinne einer von Journalisten
verstandenen Fairness, nur die im Gerichtssaal bezeugten Verbrechen der
Öffentlichkeit mitgeteilt werden sollten.
Es ist bekannt, daß die Beweisaufnahme schon nach 3 Wochen, am 15. 5. 01
abgeschlossen wurde. Das Gericht wird gute Gründe für diese Entscheidung
gehabt haben. Ich vermute vor allem den, ein Urteil herbeizuführen, sobald
kein berechtigter Zweifel mehr an der Schuld des Angeklagten bestand. Die
stets drohende plötzliche Prozeßunfähigkeit des Angeklagten hätte diese
Absicht zunichte gemacht. Dies hatte zur Folge, daß vieles ausgeblendet
blieb, was den Täter umfassend als Massenmörder charakterisiert hätte. So
blieb eine Gruppe heute namenloser Opfer ohne Gedenken.
Als Zeugin vom "Hörensagen" ursprünglich zum 22. 6. 01 geladen, bin ich
durch diesen Vorgang von der sehr unangenehmen Pflicht auszusagen, entbunden
worden. Das hat mich erleichtert. Jedoch hätte ich mich niemals als Zeugin
zur Verfügung gestellt, wenn ich nicht über die bis dahin ungesühnten und
nirgendwo dokumentierten Verbrechen des Anton Malloth hätte Zeugnis ablegen
wollen.
Ich gebe verkürzt hier wieder, was dem Gericht als Aussage vorliegt:
Am 30. 9. 44 schrieb meine Großmutter, die seit der Scheidung von ihrem
"arischen" Mann im jüd. Altersheim in Köln auf ihre Deportation wartete,
ihren nach Berlin ins jüd. Krankenhaus verbrachten und dort internierten
Töchtern und ihrer Enkelin eine Postkarte mit dem Wortlaut: "...daß das
Krankenzimmer, Arzt, Hilfe und ich morgen, Sonntag früh [1.10. 44], hier
abgeholt werden. Wohin? Wahrscheinlich Theresienstadt. ... Wir wußten das
schon lan-ge..."
Es gelingt ihr noch einmal von unterwegs eine 2. Karte mit Poststempel
Würzburg, 1. 10. 44, abzusenden: "Meine lieben Kinder, ich sende Euch herzl.
Gruß & Kuß. Es geht mir gut. Eure Mama/Omi." Das war die letzte Nachricht
für meine Mutter und mich bis Befreiung im Mai 45.
Wenige Wochen später, am 27. 10. 44, wurde ich mit meiner Mutter von Berlin
in das Ghetto Theresienstadt, deportiert, wo wir vergeblich nach meiner
Großmutter suchten. Wir ahnten nicht, wo sie sich befand. Ein Kontakt
zwischen "Kleiner und Großer Festung" war unmöglich.
Nach der Befreiung von Theresienstadt durch die Russen in den ersten Tagen
im Mai 45, wurden wir informiert, daß eine alte Frau N. in der Kleinen
Festung nach ihren Kindern suche. Mit meiner Mutter zusammen habe ich meine
Großmutter gesucht und oben an einem Zellenfenster der "Kleinen Festung"
entdeckt. Sie war kahl geschoren, krank und um Jahre gealtert. Am 10. 5. 45
kam sie zu uns und blieb bis zu unserer gemeinsamen Abfahrt nach Berlin am
18. 7. 45. Meine Mutter starb 10 Tage später.
Bis Ostern 1952 habe ich mit meiner Großmutter und der Schwester meiner
Mutter, in Köln zusammengelebt. Dort hat meine Großmutter mir und der
Sozialarbeiterin von der jüd. Gemeinde in immer wiederholten Berichten über
die grauenvollen Taten des "schönen Toni" berichtet. Demnach ist der
Transport mit den Insassen des jüd. Altersheim Köln und der Krankenstation
statt in das Ghetto Theresienstadt, aus nicht mehr nachvollziehbaren
Gründen, in die "Kleine Festung", das Gestapo - Gefängnis, weitergeleitet
worden. Unmittelbar nach der Ankunft sind die Männer, etwa 50, vor den Augen
der zum Zuschauen verurteilten Frauen von der SS-Wachmannschaft mit Stangen
und Stöcken erschlagen worden. Immer wieder hat meine Großmutter diesen
mörderischen Ankunftstag, die Ohnmachts- und Schuldgefühle - sie hatte nicht
helfen können - erzählen müssen. Unter den Mördern befand sich der SS -
Aufseher, Anton Malloth, der meiner Großmutter bei diesem Massaker - einem
stundenlangen Gemetzel - als besonders eifrig aufgefallen war: der "schöne
Toni", wie ihn die Gefangenen nannten.
Auf sein Konto geht ein weiteres, von meiner Großmutter bezeugtes
Verbrechen: Mitten im Winter, beim Appell - Stehen der Frauen im Hof der
Festung, erlaubte der "schöne Toni" sich ein besonderes Vergnügen: Mit dem
vollen Strahl eines Wasserschlauchs zielte er auf jede einzelne der alten,
halb verhungerten und kranken Frauen. Einige stürzten und konnten sich nicht
mehr erheben. Sie sind auf dem Hof erfroren oder starben in den folgenden
Tagen und Wochen an ihren Verletzungen oder den nachfolgenden Erkrankungen.
Meine Großmutter kam in Einzel- und Dunkelhaft, weil sie versucht hatte,
einigen Frauen aufzuhelfen und sich voller Verachtung bei dem Folterer
"bedankt" hatte: Wenigstens ihr habe die "Behandlung" nicht geschadet, ihr
Bluthochdruck sei nun endlich wieder normal. Sie wurde von ihm geschlagen
und bekam Einzel- und Dunkelhaft. Verwunderlich, daß Malloth sie nicht
erschlagen hat. Der "schöne Toni" hatte seinen Namen so erworben: Nach jedem
sadistischen Schlag soll er sich mit einer unnachahmlich eitlen Geste erst
ordnend durchs Haar gefahren sein, um anschließend lächelnd seine Uniform
wieder glattzustreichen. Meine Großmutter hat mir diese Szene immer und
immer wieder vorgeführt.
Sie hat als einzige Überlebende dieses Transports in Köln nach dem Krieg
Anzeige erstattet und ihre Aussage zu dem Massaker und den anderen
Verbrechen gemacht. Leider weiß ich nicht mehr bei wem oder wo. Sie hat auch
versucht, sich der Namen der Frauen zu erinnern, die in der Zeit vom 18. 11.
44 bis 18. 4. 45 in der "Kleinen Festung" "elend krepiert" sind. Ihr sind 24
Namen eingefallen. Die Namen der ermordeten Männer kannte sie nicht, da
Männer und Frauen schon in Köln streng voneinander getrennt worden waren.
Einige von mir in der Wohnung meiner Tante vor wenigen Jahren gefundene
Dokumente, von deren Existenz ich bis dahin nichts wußte, haben eine
Rekonstruktion der Ereignisse, vor allem, was die genauen Daten der
Deportation meiner Großmutter und also den Transport insgesamt betrifft,
möglich gemacht.
Demnach ist meine Großmutter am 1. 10. 44 abends in der "Kleinen Festung"
angekommen, während die dortige Karteikarte (1994) die Anwesenheit meiner
Großmutter erst zum 4. 10. 44 datiert. Die Postkarten, die meine Großmutter
aus der Kleinen Festung schrieb, belegen die Angaben der Zellen, in denen
sie sich befand (8, 30, 31) und die Anfangsbuchstaben der Wachleute, die die
Post kontrollierten. Da die Gefangenen weder Uhren noch Kalender besaßen,
sind nur ungefähre Daten oder keine angegeben. Jedoch sind die Poststempel
zumeist lesbar.
Zusätzlich stieß ich in der Literatur auf Anmerkungen bei H. G. Adler, der
verschiedentlich auf Transporte von Köln nach Theresienstadt eingeht und
beklagt, die Liste sei sowohl "unklar wie unvollständig". Ferner: "Hier sei
auch erwähnt, daß im Sommer 1944 auf Befehl des 'sonst keineswegs herzlosen'
Rahm ein Transport aus Köln, der aus 60 Frauen und einer unbekannten Anzahl
von Männern bestand, 'zur schnelleren Liquidierung' statt in die
'Mustersiedlung' in die 'Kleine Festung' abgeschoben wurden. Unter diesen
Armen, die schnell zugrunde gingen, war eine Frau von 92 Jahren." An anderer
Stelle heißt es bei H. G. Adler, er habe erfahren: "Für den 1. 10. 44 wird
ein Transport angegeben: '300 Männer, die nach der Ankunft auf der Kleinen
Festung Theresienstadt mit Stangen erschlagen wurden. 280 Frauen'." (Adler,
H. G. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. 2. Aufl. 1960. S. 194; sowie die
Anmerkungen S. 708; 769).
Es kann kaum ein Zweifel bestehen, daß es sich trotz der unterschiedlichen
Datierungen jeweils um denselben Transport handelt, mit dem meine Großmutter
in der "Kleinen Festung" angekommen ist.
Auch im Museum Theresienstadt hat man die gleiche Vermutung wie Adler, daß
die Wachmannschaft aus Ärger über die unerwartete Ankunft des
Altentransports am Abend, die männlichen Teilnehmer des Transports
erschlagen habe.
Um genauere Daten habe ich mich jahrelang bemüht. Es gibt aus der fraglichen
Zeit in den Kölner Archiven weder die Transportlisten zu unserer Deportation
vom 21. 1. 43 von Köln nach Berlin, noch die Liste zum Transport meiner
Großmutter vom 1. 10. 44 von Köln nach Theresienstadt. Diese Unterlagen sind
im Krieg verbrannt oder vernichtet worden. Prof. Dr. Matzerath, Leiter des
NS - Dokumentationszentrums in Köln, hat erst durch meine Dokumente die
beiden Transporte realisieren können und mir daraufhin die oben erwähnte
Namensliste gesandt, mit der Vorstellung, sie könne von meiner Großmutter
sein. Auch sandte er mir aus dem Gestapo - Bestand die Kopie von drei
Karteikarten, die meine Familie betrafen. Sie waren unter anderem von Kölner
Bürgern nach dem Krieg auf der Straße gefunden worden.
Meine Großmutter starb 1955.
Als die Medien 88/89 über einen gewissen Anton Malloth berichteten, der von
Italien nach München abgeschoben worden sei, wurde mir erst durch die
Nennung des Beinamens "schöner Toni" und den Ort "Kleine Festung"
Theresienstadt, bewußt, daß dies der Mann war, dessen grauenhafte Taten mich
seit meiner Kindheit begleiten, und den zu finden, ich mir nie hatte
vorstellen können.
Ihm, der sich als hilfloser Greis im Prozeß zu zeigen beliebte, ist nach
jahrzehntelanger Schonung durch die Ermittler aus Dortmund, im Prozeß in
München jede erdenkliche Fairness widerfahren. Er hat weder Reue noch ein
Wiedererkennen mit dem Mann gezeigt, der er gewesen ist. Er hat die Zeugen
wie Luft behandelt und seine Menschenverachtung noch einmal unter Beweis
gestellt.
Im Gefängnis gehegt und gepflegt wird er - verglichen mit seinen damaligen
Opfern - einen geradezu paradiesischen Lebensabend genießen können. Auch ihm
garantiert das Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Die
Geltung dieses Artikels würde ich jederzeit - selbst für Malloth -
verteidigen. Zumindest haben seine Opfer durch das Urteil etwas von ihrer
Würde zurück erhalten.
Im Gedenken an seine zahlreichen ungenannten Opfer wünsche ich dem
verurteilten Täter eines: daß er sich irgendwann an jenes Massaker erinnert,
an dem er so lustvoll teilgenommen hat, und daß ihn - wenn auch nur für
einen Moment - die Vorstellung ergreifen möge, er - der Greis - sei nun
unter jenen, die zu erschlagen er sich gerade mit seinen Komplizen
angeschickt hat.
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