Die
Massenpsychologie des Faschismus und der Judenhass der Nazis
Aus dem III. Kapitel (p. 115ff) der "Massenpsychologie
des Faschismus" von
Wilhem Reich
Die Rassetheorie
3. RASSEREINHEIT, BLUTSVERGIFTUNG UND MYSTIZISMUS
Hitler betont an vielen Stellen, dass man der Masse
nicht mit Argumenten, Beweisen und Bildung, sondern nur mit Gefühlen und
Glauben kommen dürfe. Aber in der Sprache des Nationalsozialismus wie
etwa bei Kayserling, Driesch, Rosenberg, Stapel usf. fällt das
Nebelhafte und Mystische derart auf, dass sich eine Analyse dieser
Eigenart gewiss lohnt.
"Parallel der politischen, sittlichen und moralischen Verseuchung des
Volkes lief schon seit vielen Jahren eine nicht minder entsetzliche
gesundheitliche Vergiftung des Volkskörpers durch die Syphilis,"
schreibt Hitler (S. 269). Die Ursache läge in erster Linie "in unserer
Prostituierung der Liebe. Auch wenn ihr Ergebnis nicht die fürchterliche
Seuche wäre, wäre sie dennoch von tiefstem Schaden für das Volk, denn es
genügen schon die moralischen Verheerungen, die die Entartung mit sich
bringt, um ein Volk langsam, aber sicher zugrunde zu richten. Diese
Verjudung unseres Seelenlebens und Mammonisierung unseres
Paarungstriebes werden früher oder später unseren gesamten Nachwuchs
verderben ..."
(S. 270).
"Die Sünde wider Blut und Rasse ist die Erbsünde dieser Welt und das
Ende einer sich ergebenden Menschheit."
(S. 272).
Rassenvermischung führt also nach dieser Ansicht zur Blutsvermischung
und derart zur "Blutsvergiftung des Volkskörpers": "Die sichtbarsten
Resultate dieser Massenverseuchung (durch die Syphilis) kann man ...
finden in unseren — Kindern. Besonders diese sind das traurige
Elendserzeugnis der unaufhaltsam fortschreitenden Verpestung unseres
Sexuallebens; in den Krankheiten der Kinder offenbaren sich die Laster
der Eltern"
(S. 271).
Unter den "Lastern der Eltern" kann hier nur gemeint sein, dass diese
sich mit fremdrassigem, also besonders jüdischem Blut vermengten,
wodurch die jüdische "Weltpest" Eingang ins "reine" arische Blut fand.
Es ist bemerkenswert, wie innig diese Vergiftungstheorie mit der
politischen These von der Vergiftung des Deutschtums durch den
"Weltjuden Karl Marx" verknüpft ist. In der so gefühlsbetonten Sphäre
der Syphilisangst haben die politische Weltanschauung und der
Antisemitismus des Nationalsozialismus eine ihrer stärksten Quellen.
Erstrebenswert und mit allen Mitteln erkämpfenswert ist dann
folgerichtig die Rassenreinheit, das heißt die Reinheit des Blutes. (*1)
*1)
Die "Times" schrieben am 23. August 1933: "Der Sohn und die Tochter des
amerikanischen Gesandten in Berlin waren unter den Fremden, die sich am
Sonntag, den 13. August, in Nürnberg aufhielten und sahen, wie ein
Mädchen durch die Strassen geführt wurde; der Kopf war kahl geschoren
und an den abgeschnittenen Zöpfen war ein Plakat befestigt, mit der
Aufschrift: "Ich habe mich einem Juden hingegeben." Verschiedene andere
Fremde waren ebenfalls Augenzeugen dieses Schauspiels. Zu jeder Zeit
sind fremde Touristen in Nürnberg, und die Parade mit dem Mädchen wurde
in einer solchen Weise ausgeführt, dass wenig Leute im Zentrum der Stadt
versäumt haben können, sie zu sehen. Das Mädchen, das von einigen
Fremden als schlank, zerbrechlich und, ungeachtet ihres geschorenen
Kopfes und ihres Zustands, als ausnehmend hübsch beschrieben wird, wurde
die Reihe der internationalen Hotels am Bahnhof entlang geführt, durch
die Hauptstrassen, deren Verkehr vom Pöbel versperrt war, und von
Restaurant zu Restaurant. Sie war eskortiert von Sturmtruppen, ihr
folgte eine Menge, die von einem zuverlässigen Beobachter auf etwa 2000
Leute geschätzt wurde. Sie stolperte einige Male und wurde dann von den
begleitenden starken SA-Leuten wieder auf die Füße gestellt, manchmal
auch in die Höhe gehoben, damit auch die entfernteren Zuschauer sie
sehen konnten; bei diesen Gelegenheiten wurde sie vom Pöbel angebrüllt
und verhöhnt und spasshafterweise eingeladen, eine Rede zu halten. In
Neu-Ruppin, in Nähe von Berlin, wurde ein Mädchen, weil es sich nicht
erhoben hatte, als das Horst-Wessel-Lied gespielt wurde, unter der
Bewachung von Sturmtruppen durch die Stadt geführt. Sie trug am Rücken
und auf der Brust je ein Plakat mit der Aufschrift: "Ich schamlose
Kreatur habe es gewagt, sitzen zu bleiben als das Horst-Wessel-Lied
gesungen wurde und habe so die Opfer der Nationalen Revolution
missachtet." Später wurde das Mädchen noch einmal durch die Strasse
geführt. Die Zeit des Schauspiels war vorher in der Ortszeitung
angegeben worden, sodass große Menschenmengen sich versammeln konnten."
Hitler betont an vielen Stellen, dass man der Masse nicht mit
Argumenten, Beweisen und Bildung, sondern nur mit Gefühlen und Glauben
kommen dürfe. Aber in der Sprache des Nationalsozialismus wie etwa bei
Kayserling, Driesch, Rosenberg, Stapel usf. fällt das Nebelhafte und
Mystische derart auf, dass sich eine Analyse dieser Eigenart gewiss
lohnt.
Was verbirgt sich also hinter dem Mystizismus der Faschisten, der die
Massen derart faszinierte?
Die Antwort darauf gibt die Analyse der von Rosenberg im "Mythus des 20.
Jahrhunderts" geführten "Beweise" für die Gültigkeit der faschistischen
Rassetheorie. Rosenberg schreibt gleich im Beginne:
"Die Werte der Rassenseele, die als treibende Mächte hinter dem neuen
Weltbild stehen, sind noch nicht lebendiges Bewusstsein geworden. Seele
aber bedeutet Rasse von innen gesehen. Und umgekehrt ist Rasse die
Aussenwelt der Seele."
(Mythus, S. 22).
Hier haben wir eine der unendlich vielen, typisch
nationalsozialistischen Phrasen vor uns, Sätze, die auf den ersten Blick
keinen Sinn verraten, ja ihn absichtlich zu verhüllen scheinen, auch vor
dem Schreiber dieser Sätze selbst. Man muss aber die
massenpsychologische Wirkung gerade solcher mystisch verhüllter Sätze
kennen und gebührend einschätzen, um auch ihre politische Wirkung zu
begreifen.
Weiter: "Rassengeschichte ist deshalb Naturgeschichte und Seelenmystik
zugleich, die Geschichte der Religion des Blutes aber ist umgekehrt die
große Welterzählung vom Aufstieg und Untergang der Völker, ihrer Helden
und Denker, ihrer Erfinder und Künstler."
Die Anerkennung dieser Tatsache ziehe aber sofort die Erkenntnis nach
sich, dass das Kämpfen des Blutes und die geahnte Mystik des
Lebensgeschehens nicht zwei verschiedene Dinge seien, sondern ein und
dasselbe auf verschiedene Weise darstellen. "Kämpfen des Blutes" ......
"geahnte Mystik des Lebensgeschehens" ...... "Aufstieg und Untergang der
Völker" ...... "Blutsvergiftung" ...... "jüdische Weltpest" ......, dies
alles liegt auf einer Linie, die beim "Kämpfen des Blutes" beginnt und
weltanschaulich bei blutigem Terror gegen den "jüdischen Materialismus"
von Marx und beim Judenboykott endet.
Man tut der Sache des historischen Materialismus nichts Gutes an, wenn
man diese Mystik nur verlacht, statt sie zu entlarven und auf den ihr
zugrundeliegenden materiellen Gehalt zu reduzieren. Wir nehmen vorweg:
das meiste und praktisch wichtigste daran ist sexualökonomischer
Energieprozess. Die Weltanschauung von der "Seele" und ihrer "Reinheit"
ist die Weltanschauung der Asexualität, der "sexuellen Reinheit", also
im Grunde eine Erscheinung der durch die patriarchalische und
privatwirtschaftliche Gesellschaft bedingten Sexualverdrängung und
Sexualscheu.
"Auseinandersetzung zwischen Blut und Umwelt, zwischen Blut und Blut ist
die letzte uns erreichbare Erscheinung, hinter der zu suchen und zu
forschen, uns nicht mehr gegönnt ist," sagt Herr Rosenberg.
Er irrt; wir sind unbescheiden genug, zu forschen und den lebendigen
Prozess "zwischen Blut und Blut" nicht nur unsentimental aufzudecken,
sondern sogar dadurch der nationalsozialistischen Weltanschauung einen
Eckpfeiler zu zertrümmern.
Wir wollen Rosenberg selbst unsere These beweisen lassen, dass der Kern
der faschistischen Rassetheorie Angst und Scheu vor der sinnlichen,
körperlichen Sexualität ist.
Rosenberg versucht die Gültigkeit der These, dass Auf- und Niedergang
von Völkerschaften auf Rassenvermischung, das heißt auf Blutsvergiftung
zurückzuführen sei, an Hand der alten Griechen zu beweisen. Die Griechen
seien ursprünglich die Repräsentanten nordischer Rassereinheit gewesen.
Die Götter Zeus, Apollo und Athene wären "Zeichen echtester großer
Frömmigkeit", "Hüter und Schützer des Edlen und Frohen", "Wahrer der
Ordnung, Lehrer der Harmonie der Seelenkräfte, des künstlerischen Maßes"
gewesen. Homer hätte gar kein Interesse für das "Extatische" gehabt,
Athene repräsentiere "das Sinnbild des dem Haupt des Zeus entsprungenen,
lebensnagenden Blitzes, die weise besonnene Jungfrau, Hüterin des
Helenenvolkes und treue Schirmerin seines Kampfes."
"Diese hochfrommen griechischen Seelenschöpfungen zeigen das
geradwachsige innere, noch reine Leben des nordischen Menschen, sie sind
im höchsten Sinne religiöse Bekenntnisse und Ausdruck eines Vertrauens
in die eigene Art."
(Mythus, S. 41 ff.).
Diesen Göttern des Reinen, Hohen, Religiösen werden nun die
vorderasiatischen Götter gegenübergestellt:
"Waren die griechischen Götter Heroen des Lichts und des Himmels, so
trugen die Götter der vorderasiatischen Nichtarier alle erdhafte Züge an
sich."
Demeter und Hermes wären die wesenhaften Erzeugnisse dieser
"Rassenseelen"; Dionysos als der Gott der Extase, der Wollust, des
entfesselten Mänadentums bedeute den "Einbruch der fremden Rasse der
Etrusker und den Beginn des Unterganges des Griechentums."
Ganz willkürlich greift hier Rosenberg, nur um seine These von der
Rassenseele zu stützen, die Götter heraus, die den einen der
gegensätzlichen Prozesse der Kulturbildung der Griechen darstellen,
stempelt sie als griechisch und die anderen, die ebenso dem Griechentum
entstammen, werden als fremde Götter dargestellt. Schuld am
Missverständnis der griechischen Geschichte, meint Rosenberg, sei die
Geschichtsforschung, die "rassisch verflachte" und das Griechentum
falsch deutete.
"Mit Schauern der Verehrung erfühlt die große deutsche Romantik, wie
immer dunklere Schleier vor die lichten Götter des Himmels gezogen
werden und taucht tief unter in das Triebhafte, Gestaltlose, Dämonische.
Geschlechtliche, Extatische, Chtonische, in die Mutterverehrung
(v. Ref. gesp.). Dies alles aber noch immer als griechisch bezeichnend."
("Mythus", S. 43).
Die idealistische Philosophie aller Schattierungen untersucht nicht die
Bedingungen dieses Auftauchens des "Extatischen" und "Triebhaften" in
bestimmten Kulturepochen; sie verstrickt sich vielmehr in der abstrakten
Wertung dieser Erscheinung vom Standpunkt derselben Kulturbetrachtung,
die sich so weit über das "Erdhafte" erhob, dass sie an dieser Erhebung
selbst zugrundegeht. Auch wir gelangen zu einer Wertung solcher
Erscheinungen, aber diese Wertungen leiten wir ab aus den Bedingungen
des gesellschaftlichen Prozesses, der als "Niedergang" einer Kultur in
Erscheinung tritt, um die vorwärtsdrängenden und die bremsenden Kräfte
zu erkennen, die Erscheinung des Niedergangs als historisches Ereignis
zu begreifen und nicht zuletzt die Keime der neuen Kulturformen zu
sichten, denen wir dann zur Geburt verhelfen. Wenn Rosenberg im
Angesicht des Niedergangs der kapitalistischen Kultur des 20.
Jahrhunderts mit dem Schicksal der Griechen mahnt, so stellt er sich auf
die Seite der konservativen Tendenzen der Geschichte, trotz seiner
Beteuerungen über die "Erneuerung" des Deutschtums. Wir gewinnen festen
Halt bei der Stellungnahme zur Kulturrevolution und ihres
sexualökonomischen Kerns, wenn es uns gelingt, den Standpunkt der
politischen Reaktion zu erfassen und seinen Zusammenhang mit den
Interessen der ihren Untergang sichtenden herrschenden Klasse zu
begreifen. Für den bürgerlichen Kulturphilosophen, der seinen
Klassenstandpunkt nicht ändern kann oder will, gibt es keine andere
Möglichkeit, als entweder — trotz großer wissenschaftlich-revolutionärer
Taten — zu resignieren und skeptisch zu werden oder aber mit
"revolutionären" Mitteln das Rad der Geschichte rückwärts drehen zu
wollen. Hat man aber den Standort der Kulturbetrachtung gewechselt, im
Zusammenbruch der alten Kultur nicht etwa den Untergang der Civilisation
überhaupt, sondern den einer bestimmten Civilisation erkannt, die mit
der neuen Civilisationsform "schwanger geht", so ergibt sich selbsttätig
auch ein Wechsel in der Wertbetrachtung derjenigen Kulturelemente, die
man vorher als kulturpositiv bezw. — negativ einschätzte. Es kommt nur
darauf an, zu begreifen, welche Beziehung die wirtschaftliche Revolution
und die Arbeiterbewegung zu den Erscheinungen hat, die man vom
Standpunkt des Bürgers als Niedergangssymptome betrachtete. Es ist zum
Beispiel mehr als bloß eine Frage der Wirtschaftsform, wenn sich die
politische Reaktion für die Vaterrechtstheorie, der Marxismus dagegen
für die Mutterrechtstheorie in der Ethnologie ausspricht. Abgesehen von
den sachlichen Aussagen der Geschichtsforschung wirken bei dieser
Stellungnahme affektive Interessen in den beiden konträren
soziologischen Strömungen, die objektiven, bisher unerkannt gebliebenen
Prozessen der Sexualökonomie entsprechen. Das historisch nachgewiesene
Mutterrecht ist nicht nur die Organisation des wirtschaftlichen
Urkommunismus, sondern auch die der sexualökonomisch organisierten
Gesellschaft.*2)
Das Patriarchat hingegen ist nicht nur privatwirtschaftlich, sondern
auch sexualmoralisch negativ organisiert.
*2)
Vergl. hierzu Morgan ("Urgesellschaft") und Engels ("Ursprung der
Familie"), ferner Malinowski ("Das Geschlechtsleben der Wilden") und
Reich ("Der Einbruch der Sexualmoral").
BESTELLEN?
Eine Kritik des Faschismus lässt sich ohne Wilhelm Reichs
Massenpsychologie des Faschismus nicht mehr denken.
Als erster durchschaute Reich mit seinem klinisch und soziologisch
geschulten Blick den fundamentalen Zusammenhang zwischen autoritärer
Triebunterdrückung und faschistischer Ideologie.
Er analysiert in der Massenpsychologie die Gestik, Phraseologie, die
moralischen Schemata und Aktionen der Hitlerei und weist in ihnen die
Verschiebung von Sexualangst zu einem Mystizismus nach, der zu einem
irrationalen Mechanismus chronischer Abhängigkeit führt.
Thema:
ANTISEMITISMUS
Judenhass:
Die Massenpsychologie des Faschismus
Die theoretische Achse des deutschen Faschismus ist seine Rassetheorie.
Alle anderen Programme sind nur Mittel zum Zweck. Die "Höherzüchtung der
germanischen Rasse" und die "Reinhaltung der Rasse und des Blutes" sind
nach der NS-Ideologie vornehmste Aufgabe einer Nation, zu deren
Erfüllung man jedes Opfer bringen müsse. Diese Theorie wurde im
deutschen Faschismus in Form der Judenverfolgung mit allen Mitteln in
die Praxis umgesetzt...
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