Den häufigsten Anlass zu Missverständnissen über die Beziehungen
einer Ideologie zu ihrer historischen Funktion bietet die
Nichtunterscheidung ihrer objektiven und ihrer subjektiven Funktion.
Die Anschauungen der herrschenden Klasse sind zunächst nur zu verstehen
aus der ökonomischen Basis, der sie entstammen. So haben die
faschistische Rassetheorie und die nationalistische Ideologie überhaupt
eine konkrete Beziehung zu den imperialistischen Zielen einer führenden
Schicht, die Schwierigkeiten wirtschaftlicher Natur zu lösen versucht.
Der deutsche und der französische Nationalismus des Weltkrieges
appellierten jeweils an die "Größe der Nation", hinter der
wirtschaftliche Expansionstendenzen des deutschen und französischen
Großkapitals standen. Aber diese wirtschaftlichen Faktoren machen nicht
das Substantielle der entsprechenden Ideologie aus, sondern nur den
historischen und ökonomischen Boden, auf dem diese Ideologien sich
bilden können, die Bedingungen, deren Vorhandensein für die Entstehung
solcher Ideologien unerlässlich ist.
Gelegentlich ist der Nationalismus objektiv gar nicht
gesellschaftlich (seinem Gehalt nach) repräsentiert, noch weniger mit
rassischen Gesichtspunkten in Einklang zu bringen. Im alten
Österreich-Ungarn fiel der Nationalismus nicht mit der Rasse, sondern
mit der "Heimat" Österreich-Ungarn zusammen. Als Bethmann-Hollweg 1914
das "Germanentum gegen das Slawentum" aufrief, hätte er folgerichtig
gegen Österreich, diesen überwiegend slawischen Staat vorgehen müssen.
Die ökonomischen Bedingungen einer Ideologie erklären also zwar ihre
materielle Basis und ihre objektivgeschichtliche Rolle, aber sie sagen
unmittelbar nichts über den subjektiven
materiellen Kern dieser Ideologien aus. Dieser ist unmittelbar gegeben
als psychische Apparatur der Menschen, die den betreffenden
ökonomischen Bedingungen unterworfen sind und solchermaßen den
historisch-ökonomischen Boden in der Ideologie reproduzieren. Indem
diese Menschen Ideologien bilden, formen sie sich selbst um; im Prozess
der Ideologiebildung ist ihr materieller Kern aufzufinden. Die Ideologie
erscheint somit doppelt materiell fundiert: mittelbar durch die
ökonomische Struktur der Gesellschaft, unmittelbar durch die
typische Struktur der sie produzierenden Menschen, die selbst wieder
durch die ökonomische Struktur der Gesellschaft bedingt ist.
Die Struktur des Faschisten zeichnet sich durch metaphysisches
Denken, Gottgläubigkeit, Beherrschtheit von abstrakten, ethischen
Idealen und Glauben an die göttliche Bestimmung des "Führers" aus. Diese
Grundzüge sind verknüpft mit einer tieferen Schicht, die sich
kennzeichnet durch starke autoritäre Bindung an ein Führerideal oder die
Nation. Der Glaube an ein "Herrenmenschentum" wird zur stärksten
Triebfeder sowohl der Bindung der nationalsozialistischen Massen an den
"Führer" als auch zur psychologischen Grundlage der eigenen freiwilligen
Einreihung in die Gefolgschaft. Daneben wirkt aber entscheidend eine
intensive Identifizierung mit dem Führer, die die eigene Unterwerfung
als geführtes Massenmitglied verschleiert. Jeder Nationalsozialist fühlt
sich in seiner psychischen Abhängigkeit als "kleiner Hitler".
Auf die materielle Grundlage dieser Grundhaltungen kommt es aber nunmehr
an. Es müssen die energetischen Funktionen aufgesucht werden, die,
selbst durch Erziehung und gesamte soziale und gesellschaftliche
Atmosphäre bedingt, die menschlichen Strukturen derart umbilden, dass in
ihnen Neigungen derart reaktionären Charakters sich bilden können, dass
sie. sich vor Freiheitseifer heiser schreiend, die Fesseln nicht merken,
die ihnen angelegt werden, dass sie in voller Identifizierung mit dem
"Führer" befangen die Schmach nicht empfinden, die ihnen mit der
Bezeichnung als "Untermenschen" angetan wird.
Stellt man die Blendung durch die weltanschauliche Phraseologie ab,
fixiert man ihren affektiven Inhalt und versteht man, sie in richtige
Beziehung zu den sexualideologischen Knotenpunkten des Prozesses der
Ideologiebildung zu bringen, so fällt zunächst die stereotype
Gleichsetzung von "Rassenvergiftung" und
"Blutsvergiftung" auf.
Was bedeutet das?
Eine Kritik des Faschismus lässt sich ohne Wilhelm Reichs
Massenpsychologie des Faschismus nicht mehr denken.
Als erster durchschaute Reich mit seinem klinisch und soziologisch
geschulten Blick den fundamentalen Zusammenhang zwischen autoritärer
Triebunterdrückung und faschistischer Ideologie.
Er analysiert in der Massenpsychologie die Gestik, Phraseologie, die
moralischen Schemata und Aktionen der Hitlerei und weist in ihnen die
Verschiebung von Sexualangst zu einem Mystizismus nach, der zu einem
irrationalen Mechanismus chronischer Abhängigkeit führt.
Thema:
ANTISEMITISMUS
Judenhass:
Die Massenpsychologie des Faschismus
Die theoretische Achse des deutschen Faschismus ist seine Rassetheorie.
Alle anderen Programme sind nur Mittel zum Zweck. Die "Höherzüchtung der
germanischen Rasse" und die "Reinhaltung der Rasse und des Blutes" sind
nach der NS-Ideologie vornehmste Aufgabe einer Nation, zu deren
Erfüllung man jedes Opfer bringen müsse. Diese Theorie wurde im
deutschen Faschismus in Form der Judenverfolgung mit allen Mitteln in
die Praxis umgesetzt...