Die Rassetheorie geht von der Voraussetzung aus, dass als "ehernes
Gesetz" in der Natur die ausschließliche Paarung jedes Tieres mit seiner
eigenen Art gelte. Nur außerordentliche Umstände wie etwa Gefangenschaft
vermögen dieses Gesetz zu durchbrechen und zur Rassenmischung zu führen.
Die Natur räche sich aber and stemme sich mit allen Mitteln dagegen,
entweder durch Unfruchtbarmachung der Bastarde oder durch Einschränkung
der Fruchtbarkeit der späteren Nachkommen. Bei jeder Kreuzung zweier
Lebewesen verschiedener "Höhe" müsse die Nachkommenschaft ein Mittelding
darstellen. Die Natur erstrebe aber eine Höherzüchtung des Lebens, daher
widerspreche die Bastardierung dem Willen der Natur. Die Auslese der
höheren Art erfolge auch im Kampf ums tägliche Brot, bei dem die
schwächeren, also rassisch weniger wertigen Wesen untergehen. Und das
läge folgerichtig im "Willen der Natur", denn jede Weiterbildung und
Höherzüchtung würde aufhören, wenn die Schwächeren, die zahlenmäßig in
der Mehrheit sind, die zahlenmäßig schwächeren hochwertigen Arten
verdrängen würden. Die Natur unterwerfe also die Schwächeren schwereren
Lebensbedingungen, die ihre Zahl beschränken, den Rest aber lasse sie
nicht wahllos zur Vermehrung zu, sondern treffe eine rücksichtslose Wahl
nach Kraft und Gesundheit.
Dieses Gesetz lasse sich auf Völkerschaften übertragen. Die
geschichtliche Erfahrung lehre, dass bei "Blutsvermengung" des Ariers
mit "niedrigeren" Völkern als Ergebnis immer der Niedergang des
Kulturträgers herauskäme. Die Folge wären Niedersenkung des Niveaus der
höheren Rasse und körperlicher und geistiger Rückgang, damit aber auch
der Beginn eines sicher fortschreitenden "Siechtums".
Der nordamerikanische Kontinent würde, heißt es bei Hitler, so lange
stark bleiben, "solange nicht auch er der Blutschande zum Opfer fällt"
(S. 314), das heißt, sich mit den nichtgermanischen Völkerschaften
vermischt.
"Eine solche Entwicklung herbeiführen, heisst denn aber doch nichts
anderes als Sünde treiben wider den Willen des ewigen Schöpfers." (S.
314).
Nach Hitler ist die Menschheit einzuteilen, in kulturbegründende,
kulturtragende und kulturzerstörende Rassen. Als Kulturgründer komme nur
der Arier in Betracht, denn von ihm stammen die "Fundamente und Mauern
der menschlichen Schöpfungen". Die asiatischen Völkerschaften wie etwa
die Japaner und Chinesen hätten als Kulturträger nur arische Kulturen
übernommen und in eigene Formen gebracht. Die Juden dagegen seien eine
kulturzerstörende Rasse. Für die Bildung hoher Kultur sei das
Vorhandensein "niederer Menschen" erste Voraussetzung gewesen. Die erste
Kultur der Menschen hätte auf dieser Verwendung niederer Menschenrassen
gefußt. Zuerst hätte der Besiegte und erst viel später das Pferd den
Pflug gezogen. Der Arier hatte sich als Eroberer die niederen Massen
unterworfen und dann deren Tätigkeit unter seinem Befehl, nach seinem
Wollen und für seine Ziele geregelt. Sobald sich aber die Unterworfenen
die Sprache und Eigenart der "Herren" anzueignen begannen und die
scharfe Schranke zwischen Herren und Knecht fiel, gab der Arier die
Reinheit seines Blutes auf und verlor dafür "den Aufenthalt im Paradies"
Dadurch verlor er auch seine kulturelle Fähigkeit.
"Die Blutsvermischung und die dadurch bedingte Senkung des
Rassenniveaus ist die alleinige Ursache des Absterbens alter Kulturen;
denn die Menschen gehen nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am
Verlust jener Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute zu eigen ist."
(ebenfalls in Hitlers "Mein Kampf", S. 324).
Eine sachgemäße Widerlegung dieser Grundauffassung vom fachlichen
Standpunkt kommt hier nicht in Frage. Diese Auffassung entlehnt ein
Argument der Darwinschen Hypothese der natürlichen Zuchtwahl, die in
manchen Elementen ebenso reaktionär ist, wie der Darwinsche Nachweis der
Abstammung der Arten aus niederen Lebewesen revolutionär war. Sie bildet
die theoretische Verschleierung der imperialistischen Funktion der
faschistischen Ideologie. Denn wenn die Arier das einzige
kulturschöpfende Volk sind, so dürfen sie kraft göttlicher Berufung
Anspruch auf die Weltherrschaft erheben. Und eine der kardinalen
Forderungen Hitlers ist in der Tat die Erweiterung der Grenzen des
deutschen Reiches insbesondere "nach Osten", d. h. auf sowjetrussischem
Gebiet. Die Verherrlichung des imperialistischen Krieges liegt demnach
völlig im Rahmen dieser Ideologie:
"Das Ziel, für das im Verlaufe des Krieges aber gekämpft wurde, war
das erhebendste und gewaltigste, das sich für Menschen denken lässt: es
war die Freiheit und Unabhängigkeit unseres Volkes, die Sicherheit der
Ernährung für die Zukunft und — die Ehre der Nation." ("Mein Kampf", S.
194).
"Für was wir zu kämpfen haben, ist die Sicherung des Bestehens und
der Vermehrung unserer Rasse und unseres Volkes, die Ernährung seiner
Kinder und Reinhaltung des Blutes, die Freiheit und Unabhängigkeit
des Vaterlandes, auf dass unser Volk zur Erfüllung der auch ihm vom
Schöpfer des Universums zugewiesenen Mission heranzureifen vermag." (S
234).
Uns interessiert hier ausschließlich die subjektive
Herkunft und Formierung dieser objektiv den Interessen des
Finanzkapitals gleichgerichteten Ideologien, vor allem das affektive
Übersehen von Widersprüchen und Widersinnigkeiten innerhalb der
Rassetheorie.
So übersehen die Rassetheoretiker, die sich auf ein biologisches Gesetz
berufen, dass die Rassezüchtung an Tieren ein Kunstprodukt ist. Es kommt
nicht in Frage, ob Hund und Katze, sondern ob Schäferhund und Windhund
eine "instinktive Abneigung" gegen Vermischung haben.
Die Rassetheoretiker, die so alt sind wie der Imperialismus, wollen
Rassereinheit schaffen bei Völkerschaften, wo die Vermischung infolge
der Ausbreitung der Weltwirtschaft so weit fortgeschritten ist. dass
Rassereinheit nur noch in vertrocknenden Gehirnen eine Bedeutung
gewinnt. Wir gehen hier nicht auf die andere Unsinnigkeit ein, als ob
die rassische Beschränkung und nicht das Gegenteil, die promiske
Paarung, in der Natur das Gegebene wäre. Es kommt bei der vorliegenden
Untersuchung der Rassetheorie, die statt von Tatsachen zu Wertungen von
den Wertungen zu den Tatsachen gelangt, nicht auf ihren rationalen
Gehalt an. Wir werden auch keinem Faschisten, der von der
überragenden Wertigkeit seines Germanentums narzisstisch überzeugt ist.
mit Argumenten beikommen, schon deshalb nicht, weil er nicht mit
Argumenten sondern mit gefühlsmäßigen Wertungen operiert. Es ist
also für die politische Praxis aussichtslos, ihm beweisen zu wollen,
dass die Neger und Italiener nicht weniger "rassisch" sind als die
Germanen. Er fühlt sich als der "Höhere", und damit ist Schluss.
Es ist nur möglich, die Rassetheorie dadurch zu entkräften, dass man
über die sachliche Widerlegung hinaus ihre verschleierten Funktionen
aufdeckt. Und deren gibt es im Wesentlichen zwei: die objektive
Funktion, den imperialistischen Tendenzen einen biologischen Mantel
umzuhängen, und die subjektive Funktion, Ausdruck bestimmter
effektiver, unbewusster Strömungen im Fühlen des nationalistischen
Menschen zu sein und bestimmte psychische Haltungen zu verdecken. Nur
die letzte Funktion soll hier erörtert werden. Uns interessiert hier
ganz besonders, dass Hitler von "Blutschande" spricht, wenn ein Arier
mit einem Nichtarier sich vermischt, während man unter Blutschande
üblicherweise gerade den Geschlechtsverkehr unter Blutsverwandten
bezeichnet.
Woher diese Dummheiten einer "Theorie", die sich anmaßt, die Grundlage
einer neuen Welt, eines "dritten Reiches" zu werden? Wenn wir uns mit
der Vorstellung vertraut machen, dass auch die irrationalen, affektiven
Grundlagen einer solchen Hypothese letzten Endes bestimmten realen
Seinsbedingungen ihr Dasein verdanken; wenn wir uns von der Idee
freimachen, dass die Auffindung solcher auf rationaler Basis
entstandener irrationaler Quellen von Weltanschauungen Verschiebung der
Frage in die Metaphysik bedeuten, so eröffnen wir den Weg zur Quelle der
Metaphysik selbst, erfassen wir nicht nur ihre historischen
Entstehungsbedingungen, sondern auch ihre materielle Substanz. Die
Ergebnisse mögen selbst für sich sprechen.
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