Mehr bürgerschaftliche Erinnerung:
Üben für Kranzabwurfstellen
Anlässlich des Gedenktages
für die NS-Opfer fordern Erinnerungsexperten in Berlin neue Formen für
Gedenktage und -stätten: für weniger staatlich verordnete und mehr
bürgerschaftliche Erinnerung
Von Rolf Lautenschläger, taz 11-2002
Es ist nicht allein der Anblick der "Topographie des
Terrors", jener ewigen Baustelle im Wartestand, die am Dienstagabend die
Besucher des benachbarten Gropius-Baus auf dem späten Heimweg etwas frösteln
ließ. Ebenso kalt ist das Klima derzeit in der Stadt auch für andere
Gedenkstättenpläne: für das Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Sinti
und Roma, jene für die Zwangsarbeiter, die Deserteure oder örtliche
Opfergruppen.
Berlin, Mitte der 80er-Jahre "Avantgarde" beim Thema
Erinnerung und Erinnerungskultur, fehle heute sowohl ein nationales
Gedenkstättenkonzept als auch die Perspektive zum Ausbau seiner
Erinnerungslandschaft, sagte ein Teilnehmer auf der Podiumsdiskussion "Die
Zukunft der Gedenkstätten" im Gropius-Bau anlässlich des Jahrestags zur
Befreiung von Auschwitz. Wird nach der Entscheidung des Bundestags für den
Bau des Holocaust-Mahnmals und seit Eröffnung des Jüdischen Museums
"Abschied von der Erinnerung" genommen?
Nach Ansicht von PDS-Kultursenator Thomas Flierl mangelt es
zum einen am nötigen Geld für den Ausbau von wichtigen "Projekten der
Erinnerung", wie etwa der Dokumentation des Zwangsarbeiterlagers. Zum
anderen hätten die staatlich verordneten Gedenkorte - wie etwa die Neue
Wache samt den preußischen Generälen und das Holocaust-Mahnmal - den Diskus
um Geschichte, Geschichtspolitik und neue Formen der Erinnerung in Berlin
abgeschnitten. Flierl: "Es fehlt nicht nur ein Gesamtkonzept des Gedenkens
im öffentlichen Raum. Es fehlen Opfergruppen und die Beschäftigung mit der
'geteilten Erinnerung' ", die immer mehr "Thema" werden müsse.
Warum der Kultursenator, der sich sonst kräftig um ein
Rosa-Luxemburg-Denkmal müht, genau dafür nicht mehr tut, wollte er nicht
beantworten. Mahnte doch Reinhard Rürup, wissenschaftlicher Direktor der
"Topographie des Terrors", genau den Rückzug der Politik aus der
geschichtlichen Verantwortung an.
Trotz der rund 250.000 Besucher jährlich, so Rürup, müsse
die "Topographie" die NS-Dokumente weiter in einem Provisorium ausstellen.
Es sei "ein Skandal", dass die Bauverwaltung von Senator Strieder (SPD)
weder die Kosten noch die bautechnischen Probleme der 38 Millionen Euro
teuren Zumthor-Planung in den Griff bekomme. Berlin, so Rürup weiter,
benötige eine "Gedenkstättenpolitik" und müsse sein Interesse für die
Dokumentaton "der Verbrechen" artikulieren. Die "Topographie" sei "zwingend
nötig" - auch angesichts des "Aussterbens der Täter- und Opfergeneration".
Wie den Gedenkstau überwinden? Etwa so, wie CDU-Chef
Christoph Stölzl meinte, der die staatlichen Gedenktage als "Übung und
Zeichen für die Gesellschaft" weiter für nötig erachtete? Oder braucht die
Stadt gerade die Abkehr vom offiziellen Gedenken (Flierl), einer
veranstalteten Geschichtspolitik und die Hinwendung zu "bürgerschaftlichem
Engagement und differenzierter Geschichtsbetrachtung"? Günter Morsch,
Direktor der Brandenburgischen Gedenkstätten, sah dies als Ausweg. Nach dem
zentralen Holocaust-Monument müsse der "offene Diskurs neu beginnen" - mit
dem "Gedenken vor Ort".
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der
taz - die tageszeitung
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