Konservativer Geschichtsdiskurs:
Die Zukunft der Vergangenheit
Von Andrea Livnat
Der große britische Historiker Eric Hobsbawm sieht
Historiker als Hauptproduzenten des Rohmaterials, das zu Propaganda und
Mythen umgewandelt wird. "Jedenfalls beruht die Geschichte von großen -
nationalen sonstigen - Kollektiven nicht auf Erinnerungen der einfachen
Leute, sondern auf dem, was Historiker, Chronisten oder Altertumsforscher
über die die Vergangenheit geschrieben haben (...). Es ist sehr wichtig für
Historiker, sich daran immer wieder zu erinnern. Die Pflanzen, die wir auf
unseren Feldern anbauen, können sich am Ende als das Opium des Volkes
erweisen."
Setzt man einen weitgehenden Einfluß von Wissenschaft
im allgemeinen und Historikern im besonderen auf die kollektiven Geschichts-
und Vergangenheitsbilder einer Gesellschaft voraus, muß man auch eine
entscheidende Bedeutung für das Bild der faschistischen Vergangenheit in
Deutschland annehmen. Historikern fällt damit besondere Bedeutung zu,
"denn das Bewußtsein der Vergangenheit ist eine entscheidende Prägung für
die Zukunft."
Vor diesem Hintergrund untersucht Gerd Wiegel in seiner
Studie "Die Zukunft der Vergangenheit", eingereicht als Dissertation im
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie an der Universität
Marburg, die Wechselwirkungen von wissenschaftlichem und öffentlichem
Diskurs in Deutschland in Bezug auf den Nationalsozialismus. Die Arbeit ist
insofern eine orginäre Darstellung, weil sie eine enge Beziehung zwischen
Politik und Wissenschaft verdeutlicht, die konsequent und erfrischend
deutlich nachgewiesen und erforscht wird.
Dabei stellt Wiegel die Grundfragen: "Läßt sich eine
Verschiebung von einer linksliberalen Deutungshegemonie, wie sie vor allem
für die sechziger und siebziger Jahre vorherrschend war, hin zu einer
neokonservativen Deutungshegemonie, die ihren Ausgang in den achtziger
Jahren nahm, behaupten? Und lassen sich diese Veränderungen als eine
generelle Verschiebung im hegemonialen Gefüge der Bundesrepublik bewerten?"
Das Buch ist in zwei große Teile gegliedert, die
Entwicklung der Faschismusforschung bis zur deutschen Wiedervereinigung und
die Tendenzen nach 1989/90. Um das Ende vorweg zu nehmen, Wiegel geht von
einer gravierenden Veränderung im hegemonialen Gefüge der Bundesrepublik
aus. Sein Fazit beleuchtet die Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises an
Ernst Nolte im Jahr 2000 durch die konservative Deutschland-Stiftung. Daß
die Laudatio ausgerechnet Horst Möller, Leiter des Instituts für
Zeitgeschichte, hielt, schließt für Wiegel "gewissermaßen der Kreis
neokonservativer Geschichtspolitik".
Die "geistig-moralische" Wende, von der neuen
konservativen Regierung 1982 so postuliert, setzte schon ab Mitte der 70er
Jahre ein, für entscheidender und gefährlicher hält Wiegel aber die
ökonomische Krise der Zeit, Innere Absicherung gewann dadurch an neuer
Bedeutung, und damit einhergehend das wiedererwachte Interesse an nationaler
Geschichte. Die "geistig-moralische" Wende sollte eine Umorientierung
bringen, die den Herausforderungen der Zeit gewachsen ist. Die nationale
Frage wurde dabei gleich zweifach wichtig, nicht nur in Stoßrichtung gegen
die faschistische Vergangenheit, sondern auch gegen den anderen deutschen
Staat.
Wiegel analysiert ausführlich und mit scharfer
Beobachtung politische Handlungen, deren Symbolcharakter entscheidend ist
oder einen Tabubruch bedeutet. Die Untersuchung umfaßt Kohls Auftritt vor
den Vertriebenenverbänden, die Uraufführung von "Der Müll, die Stadt und der
Tod" und Kohls Besuch auf dem Bitburger Soldatenfriedhof 1985. Die
Versöhnungsgeste von Kohl und Reagan an einem Friedhof, auf dem auch
Angehörige der SS begraben sind, und die anschließende Diskussion sieht
Wiegel "als das wichtigste politische Symbol für eine Neubewertung der
faschistischen deutschen Vergangenheit".
Einen wichtigen Teil des Buches nimmt der
Historikerstreit ein. Dabei untersucht Wiegel jedoch nicht nur Ernst Nolte,
dem er ein eigenes Kapitel widmet, sondern auch die anderen Protagonisten.
Nolte nimmt jedoch klar die Führungsrolle ein. Neben der Frage nach der
Einzigartigkeit der Shoah behandelte der Historikerstreit aber auch Fragen
zum Krieg, die sich vor allem unter der sog. "Präventivkriegsthese"
subsumieren lassen. Insgesamt muß der Historikerstreit klar in der Tradition
der Blockkonfrontation gesehen werden. Trotz einer Niederlage im
intellektuellen Diskurs 1986, wertet Wiegel den Historikerstreit als Erfolg
für die Konservativen, da deren Thesen nachhaltigen Eingang ins öffentliche
Bewußtsein fanden.
Die Faschismusdarstellung bei Nolte wird in einem
gesonderten Kapitel untersucht, das zwar keine neuen Ergebnisse vorstellt,
aber durch eine detaillierte und kompromißlose Entlarvung der Nolteschen
Argumentation überzeugt. Neben den bekannten Thesen Noltes, die den
Faschismus als Antimarxismus darstellen und Angst vor der Moderne als
primäre Emotion Hitlers postulieren, zeigt Wiegel weniger offensichtliche
und trotzdem entscheidende Punkte in Noltes Deutung des Faschismus und der
Shoah auf. Beispielsweise die Wortwahl: "Zur Schilderung bolschewistischer
Greueltaten benutzt Nolte ein ganzes Arsenal von Schreckensvokabeln:
"matern", "vernichten", "Annageln von Opfern", "Pfählungen", "abschneiden
von Ohren und Nasen", nichts wird ausgelassen, um den unzivilisierten und
eben "asiatischen" Charakter des Bolschewismus herauszustellen." Die Shoah
wird demgegenüber sprachlich völlig emotionslos dargestellt, die Juden
hätten beispielsweise in Theresienstadt ein "erträgliches Dasein" geführt.
Dem entspricht die extreme Ausweitung des Begriffes "Genozid", die Nolte
ermöglicht, auch die alliierten Bombenangriffe als "Genozid" darzustellen.
Auch die Analyse der Geschichtsdiskurse nach 1989 legt
Wert auf detaillierte Untersuchung der Protagonisten. Für den konservativer
Wandel, der sich durch den Zusammenbruch des Ostblockes extrem schnell
durchsetzen konnte, spielt die Presse eine große Rolle. Wiegel führt vor
allem die Bedeutung des Spiegels und seines Herausgebers Rudolf Augstein,
der 1989/90 einen aggressiven Nationalismus vertrat und erst kürzlich wieder
in diese Bresche einschlug, an. Doch auch andere Medien, wie beispielsweise
der Ullstein-Verlag, damals noch mit Cheflektor Rainer Zitelmann, weiteten
ihren Einfluß aus. Die Zeit schien gekommen, den Hegemonialanspruchs
Deutschland unterstreichen zu können und auch die ökonomische
Vormachtstellung der Bundesrepublik auszuweiten.
Neben den großen öffentlichen Diskussionen um
Goldhagen, Wehrmachtsausstellung und Martin Walser, stellt Wiegel
ausführlich neokonservative Tendenzen der Faschismusforschung dar. Dabei
wird deutlich, daß viele neuen Ansätze in der Forschung, beispielsweise der
Versuch, den Nationalsozialismus als Revolution darzustellen, Tendenzen der
NS-Sozialpolitik hervorzuheben oder den Nationalsozialismus als Form der
Modernisierung zu zeigen, dazu dienen, den Nationalsozialismus in eine
Kontinuität der europäischen und deutschen Geschichte zu setzen, was
letztendlich einer Verharmlosung des NS-Regimes gleichkommt.
Gerd Wiegels Arbeit ist insgesamt eine scharfe und
erfrischend deutliche Analyse des Geschichtsdiskurses in Deutschland, die
die Verbindung von wissenschaftlichem Diskurs und Politik analysiert und
konservatives Gedankengut hervorhebt. Gerade die politischen Reaktionen auf
wissenschaftliche und öffentliche Diskussionen geben über deren Intentionen
Auskunft. So wie es auch im Fall der Walser-Bubis-Auseinandersetzung war.
Denn schließlich wurde Walser in der Paulskirche keineswegs ausgebuht,
sondern sogar noch in Schutz genommen: "So scheint es, als wenn auch die
neue Generation der Berliner Republik die faschistische Vergangenheit nur
als nationale Last wahrnehmen kann, der man sich zu entledigen hat, so gut
es geht, um dem neuen Jahrhundert ohne "Lasten" entgegengehen zu können."
Gerd Wiegel, Die Zukunft der
Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie
PapyRossa Verlag Köln 2001, Euro 26,00
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