JEHUDA
HALLEWI:
AL-CHAZARÌ
Das Buch des Beweises und Argumentes zur Vertheidigung des gering
geschätzten Glaubens
Über das Buch Al-Chazari, aus einem Vorwort des
Übersetzers Dr. Hartwig Hirschfeld (1885)
Das Buch Al-Chazari trägt den Stempel einer
Streitschrift und nimmt durch Alter sowohl als durch Inhalt und
Bedeutung in der mittelalterlich-philosophischen und im engeren Sinne
polemischen Literatur der Juden einen hervorragenden Platz ein. Denn
abgesehen von seinem Inhalt weist darauf schon sein arabischer Titel
hin, welcher lautet: "Buch des Beweises und Argumentes zur Vertheidigung
des gering geschätzten Glaubens".
Seine Abfassungsfrist fällt, nach des Verfassers
eigener Angabe auf das Jahr 1140 unserer Zeitrechnung. Etwa 30 Jahre
nach seiner Entstehung wurde es von Jehuda IbnTibbon, dem ersten aus
jener berühmten, um die Übersetzungsliteratur so verdienten Familie ins
Hebräische übersetzt, und in dieser Gestalt liegt das Buch für den
allgemeinen unmittelbaren Gebrauch bis jetzt vor.
Eingebürgert hat sich der Titel "Sefer haKusari", im Original jedoch
eher "Al-Chasari". Manchmal heisst es auch "Sefer Sangari", wobei der
Name des Isak Sangari*, welcher dem disputierenden Rabbi gegeben wird,
weder im arabischen Original, noch in den Handschriften, noch gar in den
ältesten Druckausgaben der hebräischen Übersetzung auftaucht, sondern
erst in der Ausgabe Muscatos (Venedig 1594).
*) Es dürfte schwerlich von absoluter Wichtigkeit sein
zu erforschen, auf welche Weise dieser Name sich in den Titel des Buches
verirrt hat. Zwar hat Carmoly bereits das Richtige getroffen, wenn er
den Namen auf die Stadt Sindjar in Mesopotamien bezieht, aber er selbst
konnte sich noch nicht von dem Gedanken los machen, dass dieser R. lsak
aus Sindjar wirklich der Lehrer des Cbazarenkönigs gewesen sei. Es lässt
sich aber in keiner Weise sagen, wieso dieser Mann sich zum Disputator
mit dem Könige gemacht hat oder von anderen dazu gemacht worden ist. Die
geschichtlichen Quellen liefern hierfür keinen Anhalt, und es bleibt
kaum etwas anderes übrig, als den Namen völlig bei Seite zu setzen, bis
sich von irgend woher eine geschichtliche Deutung auftreiben lässt.
Ob nun Kusari, haKusari, Chasari oder Al-Chasari, der
einzig richtige Titel des Buches ist eben der, den der Verfasser selbst
zur Bezeichnung des Inhaltes und der Absicht seines Buches gewählt hat:
"Buch des Beweises und Argumentes zur Vertheidigung des gering
geschätzten Glaubens". Aber er hat anscheinend darin einen zu scharfen
Ausdruck gebraucht, wenn er seinen Glauben einen geringgeschätzten
nennt. Denn in der That drückt diese Verdeutschung sich nicht genau mit
dem entsprechenden arabischen Originalworte al-dalil, welches "niedrig,
gemein" bedeutet. Der Verfasser hat es aber ohne Zweifel in der Absicht
gewählt, dass es, zumal es zugleich den bei arabischen Büchertiteln
üblichen Reim — auf al-dalil — gibt, objektiv, als eine von der
zeitgenössischen öffentlichen Meinung oder tatsächlich aufgetretenen
Gegnern auf seinen Glauben angewendete Bezeichnung aufgefasst werde.
Die allgemeine Verkörperung dieser Gegner bildet zunächst der
Chazarenkönig selbst, dem der Verfasser alles dasjenige in den Mund
legt, was die Gegner des Judentums, insbesondere des rabbanitischen zu
allen Zeiten auf der Zunge zu führen pflegten. Denn da der König den
Philosophen abtreten lässt, entschließt er sich, Christen und Muslime zu
befragen, "was aber, fährt er fort, die Juden anbetrifft, so genügt
mir, was von ihrer Niedrigkeit, Geringzahl und dem allgemeinen Hasse
gegen sie bekannt ist". (I.4. S.6) Er scheut sich sogar nicht, dies
vor dem endlich doch herbei gerufenen Juden offen auszusprechen, "dass
er eigentlich nicht die Absicht gehabt habe, einen Juden zu fragen, weil
er ihren heruntergekommenen Zustand und ihre mangelhafte
Urteilsfähigkeit kenne; denn das Elend habe ihnen nichts
Rühmenswertes übrig gelassen". (I.12. S. 11).
Demgemäß ist der Ton, den er dem Rabbi gegenüber
anzuschlagen für gut findet, ein unverhohlen geringschätziger, der sich
erst im Laufe der Unterhaltung allmählich bessert, nachdem jener sich
gewissermaßen die Möglichkeit erzwingen musste, den König über seine
ersten Worte zu belehren (I.17). Auf diese geringschätzenden Äußerungen
gibt der Rabbi dem Könige fürs Erste auch keine Antwort, sondern verhält
sich abwartend, nur mit dem Gegenstande der ersten Frage des Königs
beschäftigt. Es steht sogar nach einer längeren Unterhaltung darüber
noch nicht einmal fest, ob sie länger beisammen bleiben werden (I.68, S.
21). Erst nachdem der Rabbi seinen königlichen Zuhörer, immer an dessen
erste Frage anknüpfend, von der göttlichen Unfehlbarkeit des
israelitischen Glaubens überzeugt hat, der lediglich auf den
geschichtlichen Tatsachen der Rettung des Volkes und der direkten
Offenbarung beruhe, jener aber von neuem auf die demnach nicht zu
erwartende äußere Niedrigkeit der Juden zurückkommt, greift er auf
dessen erste Bemerkungen zurück und sagt (I.113, S.40): "Ich sehe,
wie du uns Niedrigkeit und Armut zum Vorwurf machst, während mit beidem
die Besten jener Völker (gemeint sind Christen und Muslime) sich
rühmen". Da der König ihm aber darauf entgegenhält, dass die
jüdische Demut doch keine freiwillige sei, wie sie der Stifter des
christlichen Glaubens vorgeschrieben habe, entgegnet er, dass es jedem
Juden frei stehe, "in jedem Augenblick durch ein ausgesprochenes Wort
Niedrigkeit und Verachtung von sich zu werfen". (I.115)
Die in dem Buche offenbarte Polemik ist, soweit sie es
mit anderen Glaubensformen zu tun hat, durchaus verteidigend und wirkt
Bedeutendes schon durch die Vornehmheit und Urbanität der Sprache.
Immer wieder betont er die auf geschichtlichen
Tatsachen beruhende Überlieferung. So gibt er auch gleich zu Anfang
einen direkten Hinweis auf die Bedeutung der Tradition, indem er den
disputierenden Rabbi sich auf den Auszug aus Ägypten beziehen lässt, für
welchen er sich nur auf eine Menge von Augenzeugen berufen kann und
muss. "Ich habe dir geantwortet, sagt er, wie ich musste und wie ganz
Israel muss, das heisst erst durch eigene Anschauung, dann durch die
ununterbrochene Überlieferung - welche der Anschauung gleichkommt"
(I.25).
Diese ist die wesentliche Grundlage, auf welcher der
Rabbi seine ganze folgende Auseinandersetzung aufbaut. Nach dem Auszüge
aus Ägypten waren nur die Ausgezogenen berechtigt und verpflichtet, das
Gesetz auf sich zu nehmen (I.21), der Glaube an das. was vorher gewesen
ist, an die Schöpfung, die Verheißungen ergebe sich dann von selbst auf
Grund der Überlieferung seit Adam (I.43. II.80. S.63), woraus sich sogar
die Anzahl der verflossenen Jahre berechnen lasse (I.47). Zu den
folgenden Paragraphen werden diese Behauptungen dann weiter
ausgeführt...
Soweit nach dem Vorwort von Dr. Hartwig Hirschfeld,
dessen Verdeutschung aus dem arabischen Original des Abu al-Hasan
Jehudah haLevi 1885 in Breslau erschienen ist.
Wie bei vielen Verteidigungsschriften handelt es sich
auch beim Kusari um ein nicht nur um die Aufklärung von Nichtjuden
bemühtes Werk, sondern auch um ein, insbesondere in seiner religiösen
Argumentation grundlegendes Werk der innerjüdischen Bildung.
Im Falle des Kusari geht es
Jehudah haLevi (1075 -1141, Tudela) immer wieder um die
Verteidigung der talmudischen Überlieferung gegen philosophische
Spekulation. Eine Spannung um deren Ausgleich sich der
RaMBaM (1138, Córdoba - 1204, Kairo) so entschlossen einsetzte.
Für haLevi ist klar, dass nur der die talmudische
Überlieferung anfeindet, "der sie nicht kennt und sich nicht die Mühe
gegeben hat, sie zu lesen und zu durchforschen, der von den Reden der
Weisen nur allgemeine und allegorisierende Sprüche gehört hat und dann
ein ebenso hinfälliges als mangelhaftes Urtheil fällt, wie man etwa über
jemanden urteilt, den man nur zufällig getroffen hat, ohne ihn durch
längeren Umgang näher kennen gelernt zu haben". Er räumt allerdings ein,
dass "manches im Talmud Enthaltene heute nicht mehr recht angemessen
erscheine, was damals gebräuchlich gewesen war".
Hierzu noch einmal Hirschfeld: "Rasch nimmt der König das Wort auf und
tadelt die im Talmud öfter angewandte Erklärungsweise, 'welche die
Vernunft zurückweisen müsste und da der Rabbi ihn auf den bei den
Erklärungen der Mischnah und Boreitha aufgewendeten Scharfsinn
aufmerksam gemacht hat, steigert er seinen Tadel, indem er in die Worte
ausbricht: 'lch weiß, dass sie in der Dialektik unerreicht sind, aber
das ist eben der Beweis, gegen den sich nichts erwidern lässt''.
Diese Stellen bilden gleichsam den Mittelpunkt, um den sämtliche
Auseinandersetzungen des Werkes sich ziemlich zwanglos gruppieren. Denn
es bespricht nacheinander den gesamten Inhalt des Judentums und was mit
demselben in Berührung kommt bis auf Grammatik, Astronomie und
Kalenderwesen.
Das erste Buch enthält auf der Grundlage der Untersuchungen über
Glaubensmeinungen und religiöse Bekenntnisse überhaupt, wie bereits
angedeutet, eine weitere Entwicklung des Grundgedankens, dass der auf
der Spekulation beruhende Glaube dem durch Offenbarung empfangenen und
durch Überlieferung genährten durchaus weichen müsse"... (p. XXXX
ff.)...
Kritik an der jüdischen Apologetik
Wenn wir von jüdischer Apologetik (ἀπολογία,
Verteidigung, Rechtfertigung) sprechen, dürfen wir nicht unerwähnt
lassen, dass diese durchaus auch auf innerjüdische Kritik stieß. War sie
doch stets geneigt eher zu erörtern, was Nichtjuden, zumal Judenhasser,
gerade über die Juden debattierten, und weniger das aufgriff, was für
Juden am Judentum von Belang war.
So sah es auch
Franz
Rosenzweig. Für ihn war die Neigung des modernen jüdischen
Denkens, eine defensive, "apologetische" Haltung einzunehmen zwar
verständlich, aber dennoch fatal.
Paul Mendes-Flohr beschrieb Rosenzweigs Haltung
folgendermaßen: "Deutsch-jüdische Intellektuelle,
ob liberal oder orthodox eingestellt, versuchten ständig, die
verschiedenartigen und oft gehässigen Angriffe der deutschen
"Philosophen" und Gelehrten abzuwehren. Die Antwort der jüdischen
Apologeten auf einen spezifischen Angriff sei aber notwendigerweise
selektiv und entstellend. Eine nicht-apologetische jüdische Philosophie,
wie z. B. im Stern der Erlösung bewege sich innerhalb des
Judentums und stelle auf systematische und durchsichtige Weise die
Grundsätze und praktischen Spielregeln des Glaubenslebens dar. Eine
nicht-apologetische Methode der theologischen Auslegung des Judentums
erfordere außerdem, dass sie nicht nur abgeschirmt vom polemischen
Umfeld der aktuellen geschichtlichen Situation erarbeitet werden müsse,
sondern sogar getrennt vom Leben selbst: Das Judentum müsse nicht in
seinem Gegensatz oder Kontrast zum Leben definiert werden, sondern als
ein Existenzmodus mit apriorischem Charakter".
Ein Klassiker aus Tudela:
Der Kusari
Jehudah haLevis "Buch des Beweises und Argumentes zur Vertheidigung des
gering geschätzten Glaubens"...
Al_chazari
wurde im Jahr 2000 bei Fourier und später bei Marix verlegt.
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Der
marixverlag wurde Ende 2003 in Wiesbaden gegründet und
präsentierte Anfang 2004 sein erstes Programm. Der Verlagsname geht auf
den jüdischen Tuchhändler Salomon Marix zurück, der etwa zu Beginn des
19. Jahrhunderts aus Paris nach Eltville in den Rheingau kam und dort
die so genannte Marix Villa (mit der ersten privaten Synagoge im
Rheingau) erbauen ließ. Er errichtete in Villmar eine durch Wasserkraft
maschinell betriebene Marmorfabrik auf der linken Lahnseite und führte
Jahrzehntelang die "Nassauischen Marmorwerke". Salomon Marix soll in
Eltville u. a. Albert Schweitzer und den russischen Zar zu Gast gehabt
haben. So wurde er zum Namensgeber des marixverlags und steht für den
kulturellen Dialog, der aufrechterhalten werden soll. |