[Das
Wesen des Antisemitismus]
Von Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi (1859,
Wien - 1906, Poběžovice)
Zweites Kapitel:
Antijudaismus im Altertum
pp 142 in der 1.Auflage von R.N. Coudenhove-Kalergis
1935 herausgegebenem Buch "Judenhass - Antisemitismus".
8. Jüdische Intoleranz
Intoleranz, Fanatismus und dazu die Lehre von ihrer
Auserwählung und von einem künftigen Messias, der alle Völker unter das
Szepter eines Sprösslings vom Stamme David bringen würde, das ist der
Kern der Geschichte der Juden seit der babylonischen Gefangenschaft; das
sind die Momente, die zum Untergang des jüdischen Staates geführt haben.
Nun höre ich wohl, was die Antisemiten darauf antworten werden. Sie
können entgegenhalten, dass eben diese Intoleranz, dieser Fanatismus,
diese Exklusivität zum Wesen des Judentums gehören, dass gerade das hier
Beschriebene ein Beweis ist von ihrer Schlechtigkeit und Inferiorität,
dass es gerade diese Dogmen und Lehren sind, dieses Verhalten zu den
Nicht-Juden ist, für welches das ganze Volk verantwortlich gemacht
werden soll und Verabscheuung verdient. Nun, die Antisemiten hätten
recht, wenn es nicht nachweisbar wäre, dass diese Eigenschaften und
dieser Größenwahn, diese stolzen Dogmen mit ihrer Intoleranz von der
Auserwählung des Volkes, Strafbarkeit des Irrtums, ausschließlichen
Seligmachung, Messias, erst dem neueren Judentum und nicht dem Glauben
des Israels der vorprophetischen Zeit angehören, dass diese Lehren,
Sitten, Gebräuche, Ideen und Dogmen dem Volke Israel verhältnismäßig
spät eingeimpft worden sind. So behauptet nämlich die neueste
Bibelkritik.
Israels Gott hat einen Eigennamen. Er war anfangs bloß der Nationalgott
Israels; er ist einer neben anderen Göttern, nämlich neben den Göttern
der fremden Völker. Der Gegensatz von Gott im alten Israel waren die
Götter der Fremden, deren Existenz als Götter vollkommen anerkannt war
und die nicht für Götzen oder Nichtgötter, Nichtigkeiten oder gar
Dämonen gehalten wurden. Die Existenz des Kemosch als wirklicher Gott
der Moabiter, des Baal als wirklicher Gott der Sydonier, des Baal Zebub
als wirklicher Gott Ekrons wurde von niemandem bezweifelt. Jene Götter
haben ihren Völkern ihre Länder gegeben und beschützen sie. Dies war die
altisraelitische Auffassung, wie aus dem Buche der Richter, 11.Kapitel,
erhellt. Der alte Israelite war ein theoretischer Polytheist, der gar
nicht daran zweifelte, dass sogar er selbst im fremden Lande unter dem
Einfluss der Götter jenes Landes stehe, die dort mehr Einfluss haben als
sein eigener Nationalgott und daher Verehrung von ihm beanspruchen
können. Man vergleiche das zweite Buch der Könige, Kapitel 3, wo der
Autor die Niederlage, welche die Juden im Kriege gegen den Moabiterkönig
Mescha erlitten, aus dem Zorn des Landesgottes Kemosch erklärt. Man
vergleiche auch den Vorwurf Davids gegen Saul: "Er zwinge ihn, indem er
ihn aus Israel vertreibe, anderen Göttern zu dienen", und seine Bitte,
"es möge sein Blut nicht fern von Gottes Antlitz zur Erde fallen".
Salomo gestattete seiner moabitischen Gattin, ihren Gott Kemosch zu
verehren. Elias, der blutdürstige Verfolger der Baalreligion in Israel,
lebte in Sarepta im Hause einer Anhängerin der Baalreligion und isst von
ihren Speisen, und Naeman nimmt sich Erde aus dem Lande Israel mit, um
in seinem Lande Jahwe dienen zu können. Salomo selbst gestattete seinen
zahlreichen heidnischen Frauen nicht bloß ihre Nationalgötter zu
verehren, sondern nahm in liebenswürdiger Weise sogar an deren Verehrung
teil. In der ganzen langen Zeit der Richter und Könige finden wir sehr
wenige Beispiele von eigentlichem Fanatismus oder Intoleranz. Die
grauenhaften Vernichtungen ganzer Völker auf göttlichen Befehl mit dem
ausgesprochenen Zweck, den Götzendienst zu vernichten, damit Israel
nicht davon angesteckt werde, sind Erzählungen aus viel späterer Zeit
und zum Zweck niedergeschrieben, um den Juden den Abscheu vor dem
Götzendienste einzutrichtern. Über Israels Kultur in vorprophetischer
Zeit vergleiche das siebente Buch des ersten Bandes der Geschichte des
Volkes Israel von Dr. Bernhard Stade.
Nach dem Gesagten ist es somit unrichtig, sich die Juden gleich von
Anbeginn ihres Auftretens in der Geschichte an als fanatische Zeloten
vorzustellen.
Der Antisemitismus hat begonnen, als die Thora und die Propheten
niedergeschrieben waren; er existierte nicht zur Zeit der Richter und
Könige. Auch weiß die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte vor und
der ersten Jahrhunderte nach Christi von keinem Antisemitismus der
Griechen und Römer gegen irgendwelche andere, sogenannte semitische
Völker, das heißt semitische Sprachen redende Nationen, von denen
mehrere im römischen Reiche existieren mussten und tatsächlich
existierten, was auch sehr begreiflich ist, da alle Völker des römischen
Reiches im Hellenismus aufgegangen und in der römischen Weltmonarchie
zerschmolzen waren. Also gab es in der griechischen und römischen
Welt überhaupt gar keinen Antisemitismus, sondern nur einen
Antijudaismus, der selbst wieder mit der angeblichen jüdischen Rasse gar
nichts, mit der jüdischen Religion dagegen alles zu tun hatte, was
sonnenklar daraus folgt, dass sich die römische und griechische
Antipathie gegen die Juden auch auf die nach Tausenden zählenden
jüdischen Proselyten nichtjüdischer Abstammung erstreckte.
Ich empfehle jenen Antisemiten, welche sich für die Stellung der Juden
in der antiken Welt interessieren, das 374 Seiten starke Werk, welches
Theodor Reinach unter dem Titel "Textes d'auteurs grecs et romains
relatifs au Judaisme" in Paris im Jahre 1895 veröffentlicht hat,
gründlich zu studieren. Dort werden sie alle Texte der römischen und
griechischen Schriftsteller, welche sich auf das Judentum beziehen,
zusammengestellt finden. Sehr viele sind gehässiger Natur. Die geehrten
Leser dieses Werkes dürften dann wohl nie mehr versuchen, die bekannte
Behauptung aufzustellen: "Die Juden waren den Römern und Griechen
ebenso zuwider wie uns Modernen: ihre Religion war den Römern und
Griechen gleichgültig und doch herrschte damals ein heftiger
Antisemitismus; also ist der Antisemitismus keine religiöse Frage und
kann nichts anderes sein als eine Rassenfrage." Die gründliche
Falschheit dieser Behauptung habe ich in diesem Kapitel, wie ich
überzeugt bin, zur Evidenz nachgewiesen. Der Trugschluss der obigen
antisemitischen Behauptung liegt darin, dass sie irrtümlich voraussetzt,
dass zum Entstehen des Phänomens des Antisemitismus, wenn er eine
religiöse Frage sein soll, ein religiöses Bewusstsein und ein religiöses
Empfinden desjenigen notwendig ist, der antisemitisch affiziert wird.
Gerade diese Voraussetzung ist aber falsch. Es kann die antisemitische
Antipathie auch entstehen bloß infolge von Eigenschaften und Taten des
sogenannten Semiten; und wenn diese Eigenschaften und Taten in der
Religion desjenigen wurzeln, der die antisemitische Antipathie
hervorruft, so ist der Antisemitismus eine religiöse Erscheinung auch
dann, wenn jener, der diese Antipathie empfindet, selbst ganz
religionslos ist, ja des Ursprunges seiner Antipathie und des Grundes,
aus "welchem diese entspringt, sich gar nicht einmal bewusst wird.
So belehrt uns denn die Geschichte des Antisemitismus im Altertum, dass
derselbe durchaus auf Religion beruhte, auf nichts anderem.
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Geschichte des christlichen Antijudaismus
1. Römische Kirche... |