Felix Goldmann:
Der wirtschaftliche Antisemitismus
Der wirtschaftliche Antisemitismus ist
stets neben dem religiösen zu finden gewesen. Wenn dieser die idealen
Interessen des Volkes berührt, so geht jener auf die materiellen Wünsche der
Mehrheit zurück, die sich durch jede aufstrebende Minorität in ihren
Daseinsbedingungen bedroht sieht. Ohne die wirkliche Kraft der religiösen
Idee zu unterschätzen, kann, wie bereits erwähnt, doch oft genug direkt
festgestellt werden, daß das religiöse Mäntelchen nur der aus rein
wirtschaftlichen Gründen entsprungenen Verfolgungssucht umgehängt wird.
Solange die Religion herrscht und allen Kulturvorgängen, auch ihren minder
angenehmen Begleiterscheinungen, den Stempel aufdrückt, tritt der
wirtschaftliche Antisemitismus nirgends als selbständiger Faktor hervor,
sondern er birgt sich im Schatten des größeren Bruders, der einer besonderen
Rechtfertigung im Einzelfalle nicht bedarf.
Der wirtschaftliche Antisemitismus ist
einerseits nur das Hervorbrechen elementarer Triebe, des Egoismus und der
Selbsterhaltung, andererseits ist er aber auch schon früh in ein gewisses
System gebracht und bestimmte Regeln sind aufgestellt worden. Auch sie
fließen aus dem religiösen Judenhaß, denn seine Bestimmungen bauen sich auf
dem kanonischen Rechte auf. Das gilt zunächst direkt, indem eine früh
einsetzende beschränkende Gesetzgebung in langen Jahren ein Steinchen dem
anderen hinzufügte, bis das judenfeindliche Recht einem stattlichen Bau
glich. Man untersagte den Juden bestimmte Berufszweige, verbot das Halten
christlicher Dienstboten, machte sie ihrer staatsrechtlichen Stellung nach
zu kaiserlichen Kammerknechten, die den gewährten, meist recht
problematischen Schutz teuer bezahlen mußten, und damit würdigte man sie zu
einem Handelsobjekt herab. Man hinderte ihre Freizügigkeit, belastete sie
mit besonderen Steuern und was auf diesen Gebieten, deren Aufzählung fast
endlos wäre, das kanonische Recht zu tun übrig ließ, holten Recht und
Verordnungen der einzelnen Völker, Fürsten — und in Deutschland auch der
Städte — reichlich nach. Psychologisch war aber der wirtschaftliche
Antisemitismus dahin tätig, das Selbstgefühl des Juden zu untergraben. Das
kanonische Recht, das das Zinsennehmen dem gläubigen Anhänger der Kirche
untersagte und damit bei einer genauen Befolgung Geldhandel und Kredit
völlig untergraben hätte, wies dem Juden als fast einzigen Erwerbszweig den
Geldhandel zu. Damit wurde freilich gewiß dem damit Bedachten eine große
Stärke verliehen. Die Kirche konnte das aber ruhig tun, besaß sie doch die
weltliche Macht, um den Reichtum der Juden nicht allzu groß werden zu
lassen. Sie vermochte jederzeit—und sie hat es auch getan — um das bekannte
Bild zu gebrauchen, den vollgesogenen Schwamm wieder auszudrücken.
Der durch den Geldhandel der Juden errungene
Mehrwert an Volksvermögen — und da der Geldhandel von vornherein befruchtend
auf die Produktion wirkte, war er stets ein sehr beträchtlicher — kam den
Juden schließlich nicht zugute, sondern er floß in Form von Steuern, von
Abgaben, oder schließlich auch durch Raub und Diebstahl an die große
Allgemeinheit zurück. So konnte die Kirche diese Sachlage ohne Beunruhigung
schaffen, hatte aber auf der anderen Seite den unendlichen Vorteil, daß der
an sich so durchaus notwendige Geldhandel als eine verächtliche
Beschäftigung galt, und daß den mit ihm sich Befassenden der Stempel der
Minderwertigkeit und des Fluches aufgedrückt war. Man kann die Politik der
mittelalterlichen Kirche nur bewundern. Sie hat alles erreicht! Der für die
wirtschaftlichen Verhältnisse unumgängliche Geldhandel blühte, seine
Erträgnisse kamen der Kirche und ihren Anhängern zugute, den religiösen
Erbfeinden haftete der Makel der Minderwertigkeit an, und was das
allerwichtigste war: die immer wieder sich bei den Juden zeitweilig
häufenden Reichtümer erregten den Neid und das Begehren des Volkes und
wandelte die Anhänger der Kirche in ein stets gegen die Juden kampfbereites
Heer um. Gewiß darf nicht bestritten werden, daß auch eine innerliche
Verachtung alles Handels mit Geld sich damit verknüpfte, daß die Gebote der
Kirche ehrlich empfunden und daß man im Juden eine erfreuliche Möglichkeit
sah, das kanonische Recht zu beachten und die staatsrechtlichen
Notwendigkeiten doch zu erfüllen. Psychologisch liegt dieselbe Verachtung
des Geldes vor, wie wir sie beim Uradel des Schwertes beobachten, der das
Aufkommen der jungen Kohlen- und Industriebarone vielleicht gar nicht so
ungern sieht, da sie Geschäfte verrichten, die eigentlich ihm als Träger der
Macht obliegen und mit denen er sich doch ihrer Niedrigkeit wegen nicht
beflecken will. Daß er freilich damit die Ungeheuer großzieht, die sich
nachher gegen ihn wenden und ihn Verseilungen, Übersieht er zunächst zu
seinem eigenen Schaden.
Und dies eine hat auch die Kirche nicht
beachtet: daß nämlich einst der Tag kommen könnte, an welchem der von ihr
genährte Erwerbsgeist bei den Juden zur Riesengröße angewachsen war, sie
selber aber nicht mehr die Macht hatte, um durch Beschlagnahme des jüdischen
Vermögens eine Korrektur und einen Ausgleich hervorzurufen. Und diese Zeit
kam wirklich! Die französische Revolution, die die Herrschaft der Kirche
endgültig brach, brachte nämlich die Menschenrechte, und wenn auch
nicht überall das staatsbürgerliche Recht der Juden sogleich
Beachtung fand, sein Menschenrecht begann sich durchzusetzen und die
wesentlichste Bedingung dieses Menschenrechts war die Sicherung des
Eigentums! Nahm er auch nicht an der Verwaltung des Staates in demselben
Maße wie andere Bürger teil, so genoß er doch den Schutz der Gerichte, und
Vergehen gegen sein Leben und sein Eigentum, schließlich sogar gegen seine
Ehre, wurden gerade so mit Strafe bedroht» wie wenn sie sich gegen einen
Christen richteten. So behielt der Jude den Reichtum, den er mit seinen
Geldgeschäften erwarb. Er konnte ihn vermehren und sogar seinen Kindern
vererben.
Das aber bedeutete, daß der
wirtschaftliche Antisemitismus zu einer neuen, selbständigen Macht wurde,
die von der Kirche ganz unabhängig war. Im Mittelalter konnte er eben nie
mehr als lokale Bedeutung erlangen. Es konnte damals keine Rothschilds
geben, die auf eine ganze Welt faszinierend und verbitternd wirkten, denn
schon der Beginn der Verbitterung liefert die lokalen Rothschilds dem Zorne
ihrer Neider aus, sie werden ausgeraubt, entweder durch die Herrschaft oder
durch das Volk, werden getötet oder verjagt und müssen immer wieder von vom
anfangen. Der wirtschaftliche Antisemitismus konnte im Mittelalter aus dem
Grunde niemals zu einer Macht werden, weil dir jüdische Reichtum immer nur
aus einer Reihe von nie vollendeten Ansätzen bestand, weil wirklicher
Reichtum sich niemals lange hielt und darum niemals in weiteren Kreisen
bekannt und zu einem einflußreichen Erreger des Hasses wurde. Ein Rothschild
und ebenso die anderen berühmten Finanzgrößen des Judentums sind nur auf
dein Boden des neunzehnten Jahrhunderts möglich, weil ihnen erst hier
Sicherung des Eigentumes und gleiches Recht zugebilligt wird. Und es zeigt
sich der Fehler in der Überlegung der Kirche, die mit der Rechtlosigkeit des
Juden als mit einer für ewig feststehenden Tatsache gerechnet hatte, denn
die in langen Jahrhunderten künstlich großgezogenen und immer wieder
genährten finanziellen Talente der Juden, die nun ohne jede Hemmung auf das
Wirtschaftsleben losgelassen wurden, mußten einen großen Teil des
Geldhandels in ihre Hände bringen, mußten ihren Reichtum und ihre Macht ganz
gewaltig steigern.
Und wenn der religiöse Antisemitismus in
jenen Tagen verblaßte, so stieg der Stern des wirtschaftlichen steil empor.
Es kam hinzu, daß die Verallgemeinerungssucht auch hier mächtig wirkte. Den
wenigen Juden, welche eine beherrschende Stellung auf dem Geldmärkte
einnahmen, standen natürlich die breiten Schichten des Mittelstandes
gegenüber, der sich behaglich ernährte, ohne große Reichtümer zu sammeln und
daneben gab es noch große Massen von Proletariern, die sich mühsam durch den
Klein- und Hausierhandel zu erhalten versuchten. Das Volk sah aber nur die
Großen und erblickte in jedem jüdischen Hausierer einen kleinen künftigen
Rothschild. Das Volk verstand selbstverständlich auch die historische
Entwicklung nicht, es wußte nicht, wie sehr das Judentum durch die Kirche
und ihre Gesetzgebung zu dem Geldhandel gedrängt und befähigt worden war und
war deshalb geneigt, die wirtschaftliche Kraft des einzelnen statt auf
natürliche Ursachen, auf Unehrlichkeit zurückzuführen.
Dazu kam noch, daß die Juden selber ihren
Verdienst zeigten. Auf der einen Seite lag es in dem durch die religiöse
Gesetzgebung beeinflußten jüdischen Charakter, daß ein Teil des Erworbenen
wieder durch wohltätige Institute an die Öffentlichkeit zurückfiel, und die
Hebe Eitelkeit war leicht zu begreifen, die solche Taten einem großen Kreise
zu unterbreiten trachtete. Dann aber legte der Jude auch großen Wert auf
Wohnung, Kleidung und Schmuck, auf Dinge, die zum Teile einerseits seinem
Hange zum Familienleben alle Ehre machen, die aber andererseits, besonders
was den letzten Punkt betrifft, aus der Unsicherheit des jäh
Emporgekommenen, aus dem Bedürfnis, seinen gesicherten Reichtum auch
äußerlich zu dokumentieren, zu erklären sind. Der Bildungsdrang trieb den
Juden in die Ferne, in Bädern und auf Reisen traf man ihn, und es darf wohl
gesagt werden, daß er in solchen Äußerlichkeiten einen gewissen Ersatz auch
für dasjenige zu suchen trachtete, was die Welt ihm an kleinen Ehren und
sonstigen Befriedigung gewährenden Vergünstigungen vorenthielt. Alle diese
Momente aber, die den wachsenden Wohlstand der Juden den anderen
Bevölkerungskreisen augenfällig vor Augen führten, ließen den
wirtschaftlichen Antisemitismus turmhoch anwachsen, und zu seiner
Verminderung diente es keineswegs, daß die neu Emanzipierten
erklärlicherweise nicht immer die rechte Sicherheit und den Takt des
Auftretens erkennen ließen, der sie vor allzu deutlichem Pochen auf ihre
werdende Macht bewahrt hätte. Die Zeit, die ihr Eigentum sicherstellte, war
eben auch die der beginnenden kulturellen Assimilation und Einpassung, eine
Übergangszeit, deren Fehlgriffe, Ungeschicklichkeiten und Übertreibungen
gewiß nur Öl ins Feuer gössen.
Auch die einseitige wirtschaftliche
Betätigung der Juden spielt ihre große Rolle, Aus der wirtschaftlichen
Entwickelung des Mittelalters ist es klar ersichtlich, woher die mangelhafte
Berufsverteilung der Juden kommt. Von irgendeiner rassenhaften Disposition
zu bestimmten Berufen zu reden, ist ganz unmöglich, ist heute auch wohl
unmodern geworden.
Gesetzgebung wie natürliches Schutzbedürfnis
vertrieben den Juden vom Lande, so daß er sich typischen, städtischen
Berufen zuwenden mußte. Innerhalb dieser aber verschlossen ihm das
kanonische Recht auf der einen Seite, der zunehmende Judenhaß auf der
anderen, alle diejenigen Gebiete, die ein gewisses Ansehen besaßen; so
vornehmlich den in der Zeit mangelnder Industrie geachteten Handwerksstand.
Daß natürlich das dadurch hervorgerufene Zusammendrängen im Handel im Laufe
der Jahrhunderte eine gewisse Sonderbefähigung für diesen Beruf
hervorgerufen hat, ist erklärlich. Und der dadurch hervortretende äußere
Erfolg der jüdischen Elemente wirkt bei der Erregung des Judenhasses als
verstärkender Faktor. So unterstutzten sich auf diesem Gebiete die
verschiedenen Momente und förderten sich gegenseitig. Die Gesetzgebung
bewirkte eine ungesunde Berufsverteilung, die ungesunde Berufs Verteilung
gab dem Juden für bestimmte Gebiete besondere Fähigkeit, und der
notwendigerweise hieraus entspringende Erfolg wird wieder zum Quell des
Judenhasses, der eine gerechte und gesunde Gesetzgebung immer wieder
vereitelt.
Der wirtschaftliche Antisemitismus bedurfte
zu seiner Legalisierung des religiösen Mantels, im übrigen aber waren seine
Argumente einfach die roheste Gewalt. In neuerer Zeit, bei der veränderten
Rechtslage und den modernen Kulturanschauungen muß er sich sowohl eine
andere Rechtfertigung, wie auch andere Mittel wählen. Was die erste
anbetrifft, so lehnt er sich naturgemäß an den noch zu behandelnden, in der
Neuzeit stark hervorgetretenen Rassenantisemitismus an.
Seine Mittel aber suchen sich in den Rahmen
des gesetzlichen hineinzufügen. Sie werden vornehmlich durch das Wort
Mittelstandsbewegung charakterisiert. Man versucht, gegen den Einfluß des
jüdischen Kaufmanns oder Händlers mit mehr oder weniger verschleiertem
Boykott vorzugehen. Weniger wichtig ist hierbei der laut geäußerte Ruf:
,,Kauft nicht bei Juden", die Ausschaltung des jüdischen Individuums aus dem
Kreise seiner Berufsgenossen, als die sich langsam aber sicher vollziehende
Verdrängung des Händlers als Mittelsmann zwischen Erzeuger und Verbraucher
überhaupt. Die Mittelstandsbewegung ist eng verknüpft mit dem Aufblühen der
Genossenschaften, bei denen die Händlerrolle von der Vereinigung der
Produzenten übernommen wird.
Diese Bewegung wird von antisemitischer Seite
geflissentlich genährt. Es ist aber klar, daß hier nur judengegnerische
Momente eine Richtung verstärken, die an sich in der Wirtschaftsgeschichte
eine ganz natürliche Rolle spielt. Nicht die Gesinnung, die die Bewegung
verursacht, ist judenfeindlich -— obwohl das auch den Grund für den Anschluß
mancher Elemente abgeben mag — sondern der Erfolg. Die Mittelstandsbewegung
ist in ihren Grundideen keineswegs als gegen die Juden gerichtet gedacht,
sondern nur gegen die das Produkt verteuernde Mittlertätigkeit des
Kaufmanns. Wegen der überwiegenden Menge jüdischer Kaufleute wirkt sie
freilich rein antisemitisch. Inwiefern nun hier nur unbrauchbare Theorien
das praktische Leben zu beeinflussen versuchen, oder tatsächlich eine starke
und gesunde Entwickelungsmöglichkeit vorliegt, kann an dieser Stelle nicht
besprochen werden. Einzelerscheinungen mögen uns glauben machen, daß wir
wirklich vor neue Wirtschaftsformen gestellt sind. Beispielsweise weist das
Großkapital eine immer stärkere Tendenz der Zusammenfassung auf. An die
Stelle des jüdischen Bankiers tritt die Aktienbank, an Stelle der Fülle von
kaufmännischen selbständigen Existenzen tritt, abgesehen von ganz wenigen
Leitern, der Bankbeamte, dessen kaufmännische Fähigkeiten die des
Regierungs- und Postbeamten keineswegs zu übertreffen brauchen. Auf diese
Weise wird natürlich den Juden, welche in so großer Zahl im Geldhandel
beschäftigt waren, insofern ein Nachteil zugefügt, als sie sich auf andere
Berufe einstellen müssen. Dabei hört aber die Frage des Antisemitismus als
Triebfeder der Bewegung völlig auf, sie wird zu einer Nebenerscheinung ohne
besonderen Einfluß. Hier herrscht die höhere Gewalt des wirtschaftlichen
Fortschrittes.
Freilich sei noch hinzugefügt, daß auch bei
jedem bewußten Versuch zur Ausschaltung der Juden die Hoffnungen und
Befürchtungen weit übertrieben werden. Auf der einen Seite ist fast noch
jede Boykottbewegung im wirtschaftlichen Leben, sofern sie mehr als rein
lokale Bedeutung haben wollte, gescheitert. In wirtschaftlichen Fragen
entscheiden in letzter Reihe nicht die individuellen Gefühlsmomente, nicht
das ideale Verhältnis zu religiösen und sonstigen Gemeinschaften. Im
wirtschaftlichen Leben kommt es auf Tüchtigkeit und Konkurrenzfähigkeit auf
der einen, auf Zufriedenheit und Vertrauen auf der anderen Seite an. Und
wenn die Juden ihren Mann stehen, wenn sie Redlichkeit mit Tüchtigkeit
verbinden, so kann der wirtschaftliche Antisemitismus gewiß kleinste und
unsichere Existenzen ruinieren, der großen Masse kann er aber nichts
anhaben. Die bekannte Tatsache, daß hervorragende antisemitische Führer sich
oft dem jüdischen Anwalt und Arzte anvertrauen, beim jüdischen Kaufmann
ihren Einkauf besorgen, ist keine lächerliche Inkonsequenz, sondern der
typische Ausdruck dessen, daß das wirtschaftliche Moment sich nur selten
dauernd dem idealen Ziele unterordnet. Was aber das zunehmende Ausscheiden
des jüdischen Elements als des Trägers der individualistischen
Wirtschaftsform aus der Geldwirtschaft betrifft, so mag gewiß die
Entwickelung noch eine Zeitlang diese Wege gehen. Daß aber auf die Dauer ein
solcher Verlust und eine stetige Fortentwickelung dieser höchsten
Zusammenfassung des Wirtschaftslebens in Richtung der bureaukratisch
regierten Großbetriebe auf die Produktion und damit auf die Grundlage der
Wirtschaft ungünstig einwirken wird, leuchtet heute schon ein. Dann tritt
aber ganz von selber auch gegen diese Erscheinung eine Reaktion ein.
Die Bedeutung des wirtschaftlichen
Antisemitismus darf natürlich nicht verkannt werden. Die vielen
judenfeindlichen Verbände, die dem Juden das Leben schwer zu machen
versuchen, bedeuten gewiß eine Schwächung seiner Existenzmöglichkeit. Auf
der anderen Seite aber sind die seelischen Werte nicht zu unterschätzen, die
durch die Anfeindung dem Juden erwachsen. Das Bewußtsein, einen schweren
Kampf ausfechten zu müssen, läßt ihn seine ganze Arbeit auf eine
großzügigere Basis stellen, läßt ihn mit verdoppelter Energie und
Zielbewußtsein seine Wege gehen, und wenn irgendwo behauptet werden kann,
daß der Judenhaß eine Kraft sei, die das Böse will und das Gute schafft, so
ist es auf wirtschaftlichem Gebiete der Fall. Darum ist bei einsichtigeren
Geistern schon längst das Bewußtsein lebendig, daß der wirtschaftliche
Antisemitismus als Selbstzweck sich überlebt hat. Nur wenn wieder, wie im
Mittelalter, die Konkurrenzfähigkeit der Juden auf Grund gesetzlicher
Maßnahmen ausgeschlossen oder eingeschränkt werden kann, ist er von
praktischen Wirkungen. Und in klarer Erkenntnis dieses Umstandes versucht
man heute, insbesondere in Polen und Tschechien, die Gesetzgebung so zu
gestalten, daß sie, wenn sie sich auch nicht direkt gegen die Juden wendet,
sich doch wirtschaftlich zu ihrer Unterdrückung und Ausschließung gebrauchen
läßt.
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Rassenantisemitismus
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