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Eine Wende?:
Jetzt darf man sich auch gegen Juden äußern

Elijahu Salpeter; Haaretz, 13.06.2002

Während sich die Parteien, die um die Stimme der radikalen Rechten konkurrieren, in anderen Staaten durch Fremdenhass auszeichnen, der vor allem gegen die moslemischen Immigranten gerichtet ist, zeichnet sich in der liberalen Partei Deutschlands eine andere Tendenz ab: Die Jagd auf moslemische Wähler.

Stellen in der FDP, die seit Jahrzehnten als "anständige" Partei gilt, wollen sich jetzt den dritten Platz bei den Bundestagswahlen im kommenden September sichern, und zwar durch die Stimmen der türkischen Wähler, die vor kurzem das Wahlrecht erhalten haben. Auch für den Preis, dass das "Tabu" im Zusammenhang mit antisemitischen Äußerungen gebrochen wird.

In der letzten Zeit setzten einige Entwicklungen ein, die den rechten Teufel in der FDP aus seinem Tiefschlaf geweckt haben. Die alten und erfahrenen Führungspersönlichkeiten in der Partei, wie der ehemalige Außenminister Genscher oder der ehemalige Finanzminister Graf von Lambsdorff, oder auch die einstige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Hildegard Hamm-Brücher, haben ihren politischen Einfluss verloren, während die junge Generation nun die Führung übernommen hat. Die Stärke der Partei in der Öffentlichkeit hat lange Zeit immer mehr abgenommen, und die neuen Aktivisten, angeführt vom Vize-Vorsitzenden Jürgen Möllemann, wollen diese Tendenz ändern, indem sie die Partei einerseits zu einer populistischen rechten Bewegung, und andererseits zu einem Heim für die Kinder der türkischen Immigranten machen.

Man schätzt, dass es in Deutschland heute ca. 800.000 neue moslemische Wähler gibt, der Großteil davon junge Türken. Mehr als in jedem anderen europäischen Land ist man sich in Deutschland der schweren demographischen Krise bewusst, in der man sich als Folge des Geburtenrückgangs befindet. Es geht dabei nicht nur um Mangel an Personen, die schwere, körperliche Arbeit verrichten, sondern um Personalmangel auf fast allen Sektoren des Marktes.

Die "jüdischen Seiten" der letzten politischen Aufregung beinhalten in erster Linie den Wunsch der Deutschen, sich von der moralischen Belastung ihrer Nazivergangenheit zu befreien.

Bis zur Auflösung der UdSSR gab es in Deutschland kein akutes "jüdisches Problem". Am Ende der 80-er Jahre gab es in der Bundesrepublik nur ca. 27.000 Juden, und viele in der jüdischen Führung waren der Meinung, es müssten mehr sein, als Beweis für die Normalisierung nach der Nazivergangenheit. Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der Tore Osteuropas wurde beschlossen, den jüdischen Flüchtlingen das Recht auf freie Einwanderung nach Deutschland zu erteilen. Heute, nach ungefähr 10 Jahren, leben in Deutschland über 100.000 Juden, d.h. ca. 75% der Juden Deutschlands sind Neueinwanderer. Die Juden, die sich in Deutschland niedergelassen haben, sind Flüchtlinge, die nicht nach Israel wollten, oder denen es nicht gelungen ist, in die USA oder nach Kanada auszuwandern.

Jude und Deutscher

Deutschland stellt den legalen Immigranten großzügige Wirtschaftshilfe zur Verfügung, bis sie sich in den Arbeitsmarkt eingliedern. Jedes Paar mit Kind hat Recht auf eine kostenlose Wohnung, Krankenversicherung, Studiengebühren und dazu noch ca. 600 Dollar monatlich Lebensunterhalt. "Der niedrigste Lebensstandard in der deutschen Gesellschaft ist noch immer höher als der, den die Juden in Russland gewohnt waren", erklärte Stefan Kramer vom Vorstand des Zentralrats der Juden in Deutschland vor kurzem amerikanischen Journalisten. Die Regierung habe ein Vermögen ausgegeben, um die jüdischen Gemeinden zu finanzieren, "hier glaubt man jedoch nicht, dass jemand gleichzeitig Jude und Deutscher sein kann. Sehr viele Leute sind nicht bereit, die Juden als Deutsche zu akzeptieren."

Von politischen Aktivisten sind andeutungsweise Vergleiche zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu hören: Wie es früher die Antisemiten getan haben, gibt Möllemann heute den Juden selbst die Schuld am Antisemitismus. Wie in der Weimarer Republik setzt sich heute die sogenannte "echte" deutsche Kultur (die von dem Schriftsteller Martin Walser repräsentiert wird) mit der "jüdischen Kultur" auseinander (in Gestalt des jüdischen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der im neuen Roman Walsers, "Tod eines Kritikers" von einem durch seine Kritik beleidigten Schriftsteller ermordet wird). Und es ist wieder erlaubt, wenn auch nur in einem Roman, sich über die Ermordung eines Juden lustig zu machen.

In vielen Zeitungen Deutschlands wird davor gewarnt, dass die Affären Möllemann und Walser einen "Wendepunkt" in den deutsch-jüdischen Beziehungen darstellen, obwohl man es vermeidet, ausdrücklich zu sagen, was diese "Wende" ist. Ohne Zweifel verändert sich etwas. "In der Vergangenheit habe ich viele anonyme, antisemitische Briefe erhalten. Jetzt unterzeichnen die Verfasser mit vollem Namen und genauer Anschrift", sagt Kramer. Die neuen Mitglieder aus Russland fügen sich nur langsam in das Leben der jüdischen Gemeinden ein. Sie lesen, meist noch in russisch, über die antisemitischen Vorfälle, sind jedoch zu sehr mit finanziellen und persönlichen Problemen beschäftigt. Viele haben in Russland Schlimmeres gesehen als das, was sich derzeit in Deutschland zuträgt.

Für Deutsche, die nach dem Holocaust geboren sind, klingen die Vergleiche zwischen IDF-Soldaten und den Taten der Wehrmacht weitaus weniger schockierend als für die Generation ihrer Eltern. Die Pflicht, Israel gegenüber den Berichten über die Besatzung und die Vorfälle in den Gebieten zu verteidigen, fällt fast ausschließlich auf die "alten" Mitglieder der jüdischen Gemeinden. Das macht es ihnen sicherlich nicht leichter, sich auch mit den Erscheinungen des neuen Antisemitismus auseinander zusetzen.

hagalil.com 2007