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Michel Friedman:
Vom Leben in Deutschland

Michel Friedman, der für die ARD Scharon interviewen sollte, macht sich in Israel Gedanken über die deutsche Antisemitismus-Debatte

Von Thorsten Schmitz

Michel Friedman schaut in Tel Aviv aufs Meer. Er genießt die Morgensonne – und die räumliche Distanz zu Deutschland, und lässt die letzten vier Wochen Revue passieren. Die Bilanz fällt ernüchternd aus.

Zwar ist Möllemanns Behauptung, Juden wie Friedman und Scharon seien an antisemitischen Haltungen schuld, aus den Schlagzeilen gerutscht. Aber die Wunden sind nicht verheilt. "Es gibt kein Ereignis, seit ich in Deutschland lebe, das mich persönlich und politisch so bewegt und verletzt hat wie die Antisemitismus-Debatte, die Möllemann angezettelt und Guido Westerwelle sehr lange hingenommen hat." Die Debatte sei ein "Zivilisationsrückschlag", der 50 Jahre Leistung im Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden erschüttere. Letztendlich wisse er nicht, was gravierender sei: Möllemanns unsägliche Sätze oder Westerwelles Schweigen.

Für Michel Friedman ist die Ruhe nur scheinbar, der Konflikt mit der FDP auch nach dem Gespräch des Zentralrats mit FDP-Politikern nicht beigelegt. Die Auseinandersetzung bleibe eine offene Wunde, so lange sich Westerwelle einen Stellvertreter Möllemann "antut". "Die FDP muss sich entscheiden." Entweder sie erkenne an, dass Möllemanns Aussagen "unentschuldbar" seien, "dann kann sie Möllemann nicht halten". Oder aber ihre Erklärungen seien bloße "Lippenbekenntnisse".

Ähnlich wie Ignatz Bubis, der vor seinem Tod in einem Interview sein Wirken in Frage gestellt hatte, betrachtet Friedman sein eigenes Schaffen kritisch: "Mein Optimismus, dass ich etwas erreichen kann, ist deutlich zurückgegangen." Friedman verweist auf die jüngste Studie der Leipziger Universität, wonach 36 Prozent der Deutschen "gut verstehen" können, "dass manchen Leuten Juden unangenehm sind". Dass jeder dritte Deutsche antisemitisch gepolt ist, lasse ihn bezweifeln, "ob man als Jude überhaupt ein würdevolles Leben in Deutschland leben kann". Selbst bei ihm, der stets die jüdische Zuwanderung nach Deutschland gefördert habe, "macht sich inzwischen Nachdenklichkeit breit darüber, ob es richtig war, in Deutschland zu leben". Es sei "auffallend", wie lange es gedauert habe, bis sich Gewerkschaften, Kirchen und Parteien zu Wort gemeldet hätten. Und "von den Intellektuellen haben wir bis heute kaum etwas gehört".

Friedman sagt, er könne sich durchaus vorstellen, außerhalb Deutschlands zu leben. Noch stelle sich die Frage allerdings nicht.

Thorsten Schmitz / SZ vom 19.06.2002
Mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung und der
DIZ München GmbH

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