Bemerkungen zu einem unerfreulichen Phänomen:
Antisemitismus, gut bürgerlich
Ein Leitartikel des
KStA von Markus Schwering
In der Kölner Philharmonie war neulich Denkwürdiges zu
erleben: Besucher lehnten es unter Hinweis auf die israelische Politik im
Nahen Osten ab, ihre Unterschrift unter einen im Foyer ausliegenden Aufruf
gegen Antisemitismus zu setzen. Man könnte darüber zur Tagesordnung
übergehen, handelte es sich nicht um einen symptomatischen Vorgang.
Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass in bestimmten
gutbürgerlichen Kreisen ein "Huckepackantisemitismus" hoffähig wird - also
einer, der sich aus der Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung gegen
die die Palästinenser speist.
Die Juden sollten sich, so könnte man das einschlägige Denkmuster
beschreiben, mit dem Hinweis auf ihren Opferstatus im Dritten Reich
zurückhalten - schließlich würden ihre Glaubensgenossen heute anderen
gegenüber ähnlich verfahren.
Die gegenwärtige israelische Politik als Vehikel zur eleganten Entsorgung
der deutschen Vergangenheit? Bevor sich der Ungeist großflächig breit macht,
gilt es, Pflöcke einzuschlagen. Dabei sollte zunächst das Argument genügen,
dass es falsch ist, den Holocaust und das, was Israel heute tut, in ein
Entlastungsverhältnis zu bringen.
Die Kritik an der Regierung in Tel Aviv mag berechtigt sein, aber sie
berechtigt nicht zum Antisemitismus. Und der Holocaust büßt seine
Monstrosität nicht durch Hinweise darauf ein, dass angeblich "die Juden ja
auch nicht ohne sind".
Allerdings sieht sich derjenige, der auseinander halten will, was nicht
zusammen gehört, Schwierigkeiten ausgesetzt. Tatsächlich mögen
Antisemitismus und Antizionismus von der Sache her verschiedene Phänomene
sein, in der Geschichte haben sie einander mehr als einmal in die Hände
gespielt und bestärkt.
Jüngstes Beispiel ist der Überfall auf die Synagoge in Düsseldorf. Es gibt
eben radikale Araber, die an Hitler nur tadeln, dass er sein Ausrottungswerk
nicht zu ende geführt habe. Und notorisch sind die Fälle der Nazi-Schergen
aus dem Umfeld Adolf Eichmanns, die sich nach dem Krieg Ländern wie Syrien
als Militärberater zur Verfügung stellten.
Schließlich ging auch die antiisraelische Politik ehemaliger
Ostblock-Staaten oft genug mit der Duldung oder Förderung antisemitischer
Tendenzen einher. Die rigorose Parteinahme von Teilen der deutschen Linken
für die Palästinenser und damit zumindest unausgesprochen gegen Israel -
zuletzt noch während des Golfkriegs - war nicht immer frei von
antisemitischen Beiklängen.
Auf der anderen Seite waren und sind viele Juden allzu gerne bereit, in
Deutschland geübte Kritik an Israel sofort mit Judenfeindschaft
gleichzusetzen und damit abzublocken. Dabei müssen auch Deutsche die
israelische Politik tadeln dürfen, ohne deshalb gleich des Antisemitismus
geziehen zu werden.
Die Furcht vor solch wohlfeilen Schlussfolgerungen hat dazu beigetragen,
dass die bundesrepublikanische Politik israelische Positionen bislang
weitgehend unterstützte. Hat sie damit immer gut getan? Objektiv hat sie
jedenfalls diejenigen befördert, die sich jetzt in ihrer Rolle als mutige
Tabubrecher gefallen.
Man sieht: Differenzierung ist ein schwieriges Geschäft. Wer es betreibt,
muss sich der Last der Geschichte stellen und kann nicht ohne weiteres
erwarten, dass Vernunft über Ressentiments hier und Verletzungen dort hinweg
trägt.
Aber eine Alternative gibt es nicht: Der Antisemitismus der
Champagner-Partys mag manchem fürs erste nicht bedrohlich erscheinen.
Bekämpfenswert ist er allemal.
hagalil.com
2007
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