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"Mein Geschäft habe ich geliebt":
Koscheres Lebensmittelgeschäft mußte schließen

Sieben Jahre hatte Herr T. (59), der seinen Namen inzwischen nicht mehr veröffentlicht sehen möchte, im bürgerlichen Reinickendorf (Ortsteil Tegel) in der Nähe zweier Einkaufsstraßen und des Tegeler Sees einen florierenden Tante-Emma-Laden...

Von Iris Noah, 06.08.2003

Rabbiner Chaim Rozwaski regte an, daraus ein koscheres Lebensmittel- und Delikatessengeschäft, zu machen. Im Mai 2002 wurde "Israel Deli" eröffnet. Viele alte Kunden kamen weiterhin gern ab morgens um 5.00 Uhr zum Frühstücken. Der Pott Kaffee kostete 80 Cent; nachgeschenkt wurde umsonst.

Mittags gab es verschiedene Imbissangebote: Chickennuggets mit Pommes, Salate, belegte Brötchen, Couscous-Varianten, Chumus, Techina und den gemischten Israel-Deli-Teller für 3,50 Euro. Auch der Imam der nahe gelegenen Moschee kam vorbei. "Die Leute sind gern in meinen Imbiss gekommen" erzählt Herr T. Neben alter Stammkundschaft, jüdischen Berlinern aus der ganzen Stadt, türkischen Muslimen und Christen entdeckten auch Öko-Bewusste das Geschäft für sich. Es hätte eine Erfolgsstory werden können.

Nach einigen Wochen kamen Angehörige der Neonazi-Szene aus dem Berliner Umland. Sie waren erkennbar an den OHV-Autokennzeichen (Oder-Havelkreis), stellten ihre Autos morgens kurz nach 5.00 h vor dem Laden ab und pöbelten, wobei "Judensau" noch zu den harmloseren Ausdrücken gehörte. Ab dieser Zeit war es nicht mehr möglich, den Laden so früh zu öffnen, denn Herr T. war in der ersten Stunde hauptsächlich im hinteren Teil des Ladens mit den Frühstücksvorbereitungen beschäftigt und wollte den vorderen Teil nicht mehr unbeaufsichtigt lassen. Nach einigen Wochen blieben die Glatzköpfe weg.

Einige Zeit später begannen arabisch sprechende Leute die Gäste zu beschimpfen und ins Essen sowie auf die Fensterscheiben zu spucken und die Israelflagge abzubrechen. Herr T. konnte drei Gruppen unterscheiden: einige 12jährige und einige junge Erwachsene. Eine dritte Gruppe von Ende 30jährigen blieb gegenüber stehen und machte durch Gesten deutlich, daß er unerwünscht sei und verschwinden solle. Wenn Herr T. morgens kam, waren die Scheiben regelmäßig durch Spucke und häufig auch durch Urin verschmutzt. Kinder von der nahe gelegenen Grundschule, die bei ihm einkauften und gelegentlich einen Lutscher bekamen, ließen ihn wissen: "Du mußt aufpassen. Da sind arabische Leute, die wollen Dir was Böses tun".

In der lokalen Presse wurde davon berichtet, daß die Scheibe des Ladens eingeworfen worden war und auch, daß die Reifen seines Autos zerstochen wurden. Da dies während des Besuches des israelischen Staatspräsidenten Moshe Kazav geschah, wurde in der Medienberichterstattung ein Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt hergestellt.

Hausbewohner äußerten Ängste, es könne ein Molotowcocktail geworfen werden und zogen Vergleiche mit der Situation in Israel. Nach und nach bröckelten Stammkunden ab. Auch Geschäftsinhaber, die früher seine selbstgebackenen Brötchen gekauft hatten, stellten die Geschäftsbeziehungen ein. Ein Zeitungsladen in der Nachbarschaft begann Kaffee auszuschänken.

Polizeikräfte und Einsatzwagen waren meist in zivil und daher nicht als solche erkennbar. Die Ermittlungen auf seine Anzeigen wurden eingestellt, da die Faktenlage als nicht ausreichend eingeschätzt wurde. Er solle sich melden, wenn er weitere erhellende Details zu Protokoll geben könne. Von den belästigten Kunden hat niemand Anzeige erstattet.

Auch mit Schutzgelderpressung machte er Erfahrungen. Ein hochgewachsener Deutscher mit elegantem Anzug und Krawatte betrat den Laden und fragte mehrmals, um was für ein Geschäft es sich handle. Der Inhaber antwortete jeweils "ein koscheres jüdisches Lebensmittelgeschäft". Dann stellte der Fremde fest: "Ich bin Ihre Lebensversicherung". Auf Nachfrage erfuhr der Inhaber dann: "Wenn Sie Ihr Geschäft weiterführen wollen, dann müssen Sie aber mal was rüberreichen". Ein konkreter Betrag wurde nicht genannt. Diese Besuche wiederholten sich noch zwei Mal, wobei Herr T. den Besucher aufforderte, sofort das Geschäft zu verlassen.


Foto: privat

Mit dem benachbarten Wein- und Spirituosenhändler, der mehrere hundert Weine und insgesamt 2000 Einzelartikel führt, hatte er als sein Geschäft ein Tante-Emma-Laden war, normale geschäftliche Beziehungen. Sogar ein kleines Weinregal war ihm geschenkt worden. Auf Initiative des Weinhändlers kam es zu einem Dreiergespräch mit dem Hauswirt. Dem Weinhändler, der keine israelischen Weine führte, war es ein Dorn im Auge, daß Herr T. 30 Sorten israelische Weine im Angebot hatte und sechs Flaschen in seinem Schaufenster präsentierte. Auch würde der Eindruck entstehen, beklagte der Weinhändler, dass beide Geschäfte zusammengehörten. Das erstaunt, da sich zwischen beiden Ladeneingängen eine große Haustüre befindet. Dennoch sah er sein Geschäft beeinträchtigt und forderte Herrn T. auf, diese Produkte aus seinem Sortiment zu nehmen. Dieser war jedoch dem Weinhändler schon soweit entgegengekommen, daß er keine koscheren Weine aus anderen Ländern in sein Sortiment genommen hatte und wies das Ansinnen zurück, da zu jedem Schabbat und jüdischem Feiertag koscherer Wein gehört.

Der Weinhändler vermutet als Grund für die Geschäftsaufgabe von Israel Deli "die schwierige wirtschaftliche Lage und das spezielle Angebot". Nach der Geschäftsumstellung sei der Laden immer leer gewesen, und "wenn niemand kommt, muss man irgendwann zu machen".

Doch allein im Lauf der Viertelstunde, die sich die Verfasserin dieses Artikels in der Spirituosenhandlung aufhielt - während der Berliner Sommerferien, in glühender Mittagshitze und fünf Wochen nach Schließung des Ladens - wollten drei Menschen in das koschere Lebensmittelgeschäft.

Mehrmals kamen Angestellte der Lebensmittelaufsichtsbehörde, weil sich Menschen beschwert hätten - so wurde ihm mitgeteilt - dass die Waren nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet seien. Gemeint waren die Produkte mit hebräischer Aufschrift, wobei die Angaben ebenfalls auf englisch auf der Ware standen. Es wurden Waren versiegelt und Proben mitgenommen, deren Ergebnis Herrn T. niemals mitgeteilt wurden. Warum gerade die Warenauszeichnung auf englisch und hebräisch ein Problem darstellt ist nicht nachvollziehbar, da es in Berlin, das stolz auf seine Multikulturalität ist, viele Lebensmittelgeschäfte gibt, die von Minderheiten betrieben werden und wo die zweisprachige Warenauszeichnung, bei der keine deutsche Übersetzung vorhanden ist, kein Problem darstellt.

Die Solidarität, die er hauptsächlich von türkischen Muslimen und "israelfreundlichen Christen" erfuhr, hat ihn sehr berührt. Einzelne Menschen, die nicht zu seinen Kunden gehörten, kamen in den Laden und drückten ihr Bedauern aus. Eine deutsche Hausbewohnerin machte den arabischsprachigen Tätern gegenüber deutlich, was sie von deren Übergriffen hielt, und der Hausbesitzer hat die Miete soweit reduziert, dass Herr T. das Geschäft noch weiterführen hätte können, aber er meint: "Ich war alleine. Die Angriffe waren zu krass. Mein Geschäft und der Imbiss waren sehr beliebt. Nur wenn die Leute angepöbelt werden: "Du jüdisches Schwein"...Die hatten zwar nichts gegen mich, aber sie wollten mit mir nicht auf einer Stufe stehen."

Herr T. bereitet nun seine Auswanderung nach Israel vor, wo er in einigen Jahren als Ruheständler hin wollte. Er, der vor seiner Karriere als Geschäftsmann Judo, Karate und Boxen auf Leistungssportebene betrieben hat und auch Drogen- und Sprengstoffspürhunde ausgebildet hat, sieht dort mehr Zukunftsmöglichkeiten für sich und seine Familie als in Deutschland - dem Land, in dem er einigen wenigen Mutigen sein Überleben als verstecktes Kind verdankt.

hagalil.com 2007