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Eine Welle antisemitischer Übergriffe in Berlin:
Den Hassparolen folgen immer öfters die Hasstaten
Vor gut einer Woche kam es zu einem
Anschlag auf eine jüdische Kindertagesstätte in Berlin. In das Gebäude wurde
eine Rauchbombe geworfen und an der Fassade wurden Hakenkreuze und
SS-Symbole geschmiert. Alles weist darauf hin, dass dieser Anschlag von
Neonazis verübt wurde. Damit wurde eine neue Qualität erreicht – und: Der
Anschlag wurde nicht mitten in der Nacht verübt, sondern am hellichten Tage.
Im Westteil der deutschen Hauptstadt. Doch dieser besonders widerwärtige
Anschlag ist kein Einzelfall...
Von Jörg Fischer, haGalil v. 04.03.07
Noch in schlechter Erinnerung sind die Berichte, als Ende
letzten Jahres zwei Berliner Schulen regelrecht "judenfrei" geprügelt und
gemobbt wurden. Die Täter waren in diesen Fällen antisemitische Schüler, die
der islamistischen Szene zuzurechnen sind. Bereits seit geraumer Zeit häufen
sich in einem immer stärker zunehmenden Maße antisemitische Vorfälle.
Nur wenige Tage nach dem Anschlag auf die jüdische Kita in Berlin berichtete
die "Berliner Zeitung" in ihrer Ausgabe vom 28.2.2007: "In den vergangenen
Tagen registrierte die Berliner Polizei eine Vielzahl antisemitischer
beziehungsweise rechtsextremistischer Vorfälle. Nicht nur ist - wie
berichtet - ein Anschlag auf eine jüdische Kita verübt worden. Wie gestern
bekannt wurde, skandierten am Sonntagmorgen ein 20- und ein 21-jähriger Mann
in der Schackelstraße in Marzahn-Hellersdorf "Heil Hitler", "Sieg Heil" und
"Judenschweine". Sie bewarfen parkende Autos mit Steinen." Und weiter
berichtet die Zeitung: "Ebenfalls am Wochenende entdeckten Polizisten an der
Fassade einer Realschule an der Heidenheimer Straße in Reinickendorf ein
Hakenkreuz und die Worte "Sieg Heil". An einem Verbindungsgang zwischen
Dietzgen- und Heinrich-Böll-Straße in Pankow entdeckte der Mitarbeiter eines
Wachschutzes zehn 50 Zentimeter große Hakenkreuze, die in Wandspiegel
eingeritzt waren. In der Götelstraße in Spandau entdeckte ein
Ordnungsamtsmitarbeiter am Freitag auf einem gepflasterten Weg ein zwei mal
zwei Meter großes Hakenkreuz. Auf einem Parkdeck am Kladower Damm wurde am
Sonnabend ein Hakenkreuz entdeckt …"
Zudem kam es in den letzten Tagen vermehrt zu fremdenfeindlichen Übergriffen
– und zwar nicht nur in den Hochburgen der neonazistischen Szene im Ostteil
Berlins, sondern beispielsweise im westberliner Stadtteil Moabit. Und am
vergangenen Freitag (2. März) berichtet der "Tagesspiegel": "Am
Donnerstagabend sind ein jüdisches Mahnmal in Moabit und eine Mauer an einem
jüdischen Friedhof in Prenzlauer Berg beschmiert worden." Beide Taten wurden
nur wenige Stunden voneinander entdeckt. Und wie Hohn klingt es, wenn die
Polizei, laut dem Bericht des "Tagesspiegels", in beiden Fällen keinen
politischen Hintergrund erkennen will.
Den Worten des Hasses folgen Taten des Hasses
Unmittelbar nach dem Anschlag auf die jüdische Kita wies Gideon Joffe,
Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, darauf hin, das die Zahl der
zur Anzeige gebrachten antisemitischen Vorfälle seit 2004 um 50 Prozent
angestiegen ist. Doch kommen diese schockierenden und bedrohlichen
Ereignisse wirklich so überraschend und unvorhergesehen, wie manche
Politiker meinen?
Tatsächlich ist schon länger einer stärker und aggressiver werdende Zunahme
antisemitischer Propaganda zu verzeichnen. Nicht nur deutsche Neonazis
artikulieren ihre antisemitische Hasspropaganda immer ungenierter in aller
Öffentlichkeit. Erinnert sei nur an jene beschämenden Aufmärsche im Sommer
letzten Jahres in Berlin, organisiert aus dem Sympathisantenumfeld der
islamistisch-terroristen Organisationen Hizbullah und Hamas, bei denen auf
Transparenten unverhohlen antisemitische Hassparolen ("Israel trinkt das
Blut unserer Kinder") zu lesen waren, tausendfach "Tod, Tod Israel"
skandiert wurde und von Teilnehmern auch schon mal der Hitlergruß gezeigt
wurde- Bekannte Neonazis, Islamisten und Angehörige linker Gruppen, darunter
auch Bundestagsabgeordnete der PDS und Funktionäre der WASG, nahmen an
diesen Demonstrationen teil. Auch wenn manche ihren Antisemitismus (noch)
als "Antizionismus" verbrämen, so ist die Stossrichtung doch unverkennbar.
Zu lange wurde der Antisemitismus faktisch verharmlost als etwas, was in
Deutschland nur von deutschen Neonazis ausgeht. Negiert und geleugnet wurde,
das Antisemitismus, aber auch Homophobie, Frauenfeindlichkeit, die Ablehnung
von Individualismus und Pluralität, nicht exklusive Bestandteile
neonazistischer Wahnvorstellungen sind, sondern auch in Kreisen
fundamentalistisch-islamistischer Extremisten und sich links wähnender
Sektierer fester Bestandteil ideologischen Konzepte und der daraus folgenden
politischen Praxis sind.
Eine weitere Ermutigung glauben Neonazis aber auch dadurch zu erfahren, das,
wie durch den Anschlag auf die Kita belegt wurde, die Sicherheitsmaßnahmen
bei jüdischen Einrichtungen nicht per se den Notwendigkeiten entsprechen –
oder bei Beschmierungen von Mahnmalen und jüdischen Friedhöfen erstmal ein
politischer Hintergrund "nicht erkennbar" sein soll. Die reale Abwertung des
zivilgesellschaftlichen Kampfes gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus
durch die Umstrukturierung der entsprechenden Bundesprogramme der
Bundesregierung sowie der Einzug der NPD in Landes- und Berliner
Bezirksparlamente tun ein übriges. Eine weitere Verstärkung dieser
gefährlichen Entwicklung findet derzeit auf örtlichen Ebenen statt, wenn
Neonazis als Teil der zivilisierten Gesellschaft und als Gesprächspartner
akzeptiert werden – wenn etwa ein Bürgermeister aus Mecklenburg-Vorpommern
der NPD zum Einzug in den Landtag gratuliert, im thüringischem Bad Salzungen
ein Appeasement mit Neonazis getroffen wird und mit diesen darüber
verhandelt wird, unter welchen Bedienungen Demokraten
Aufklärungsveranstaltungen durchführen können oder wenn Anfang Februar bei
einer Podiumsdiskussion in St. Augustin (NRW) ein im Publikum sitzender
NPD-Mandatsträger nicht nur das Wort ergreifen kann, sondern faktisch dann
auch noch in die Gesprächsrunde "integriert" wird. Die NPD bejubelt solche
Erfolge, so heißt es auf der Internetseite des betreffenden
NPD-Kreisverbandes: "Nach dem Ende des ersten Veranstaltungsteils gab Frank
Plasberg dem Vertreter der NPD, wie versprochen, die Gelegenheit, zu einigen
Motiven des Engagements in der NPD Stellung zu beziehen. (2. Teil des
Mitschnitts) Eine Souveränität, über die die oftmals hasserfüllten
Journalisten, die in Dresden oder Schwerin über die NPD berichteten, nicht
verfügten. Er blieb somit seinem Motto "Hart aber fair" durchaus treu."
Wer anfängt, Neonazis aus der gesellschaftlichen Isolation zu holen, in dem
er sie als Gesprächspartner und damit als Teil des demokratischen Diskurses
akzeptiert, darf sich nicht wundern, wenn sie dann tatsächlich "in der
Gesellschaft angekommen sind" und ihre Gewalttaten und Übergriffe beginnen,
nicht nur in den sogenannten "national-befreiten Zonen" zur Alltagsunkultur
werden zu drohen. Das gleiche gilt, wenn man – ob unbewußt oder bewußt –
ideologische Schnittmengen und Anschlußfähigkeiten mit den Inhalten der
Neonazis pflegt – und genau das trifft in einem erhöhten Maße in Bezug auf
den Antisemitismus zu. Wer schweigt und vielleicht sogar klammheimlich
zustimmt, wenn Juden auf Transparenten unterstellt wird, "das Blut unserer
Kinder zu trinken" und dem jüdischen Staat der Tod gewünscht wird, braucht
sich nicht zu wundern, wenn jüdische Friedhöfe geschändet und auf jüdische
Kitas Anschläge verübt werden.
In einem Bericht von Spiegel-Online über das Solidaritäts- und Toleranzgebet
in einer Berliner Synagoge nach dem Brandanschlag auf die Kita heißt es:
"Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von Berlin, Gideon Joffe, sagt, es
fehle in Deutschland wahrlich nicht an Gedenktagen für jüdische Opfer. Aber
trotzdem laufe etwas schief: Seit 2004 sei die Zahl der antisemitischen
Übergriffe um fünfzig Prozent gestiegen. Der Antisemitismus lauere
"praktisch überall, wo Menschen sind". Darum erneuert Joffe seinen Aufruf an
alle Deutschen, sich doch einmal mit einer Kippa auf dem Kopf auf die Straße
zu begeben und die Reaktionen am eigenen Leib zu erleben." Laut dem Bericht
von Spiegel-Online nahm zwar der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan
Kolat, an dem Solidaritäts- und Toleranzgebet teil, die Gesichter von
Vertretern der beiden christlichen Kirchen werden indes vermißt.
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hagalil.com
2007
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